Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdachtskündigung. Anhörung des Arbeitnehmers
Leitsatz (amtlich)
Zur Anhörung des Arbeitnehmers als Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Verdachtskündigung gehört, ihm deutlich zu machen, dass der Arbeitgeber aufgrund konkreter Verdachtsmomente einen entsprechenden Verdacht hegt und darauf ggf. eine Kündigung zu stützen beabsichtigt, und dem Arbeitnehmer Gelegenheit zu geben, entweder einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen oder sich über einen Rechtsanwalt innerhalb einer bestimmten Frist schriftlich zu äußern.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 24.04.2009; Aktenzeichen 28 Ca 3702/09) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des ArbG Berlin vom 24. April 2009 – 28 Ca 3702/09 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am … 1957 geborene Kläger trat am 01. Januar 1988 in die Dienste der Beklagten. Er bezog zuletzt als Filialleiter ein Monatsgehalt von 3.706 EUR brutto.
Nach Anhörung des Betriebsrates mit Schreiben vom 30. Januar 2009 (Ablichtung Bl. 57 – 59 d.A.) kündigte die Beklagte dem Kläger zunächst mit Schreiben vom 02. Februar 2009 (Ablichtung Bl. 4 d.A.) fristlos und sodann mit weiterem Schreiben vom 06. Februar 2009 (Ablichtung Bl. 6 d.A.) ordentlich zum 30. September 2009. Beide Kündigungen begründet die Beklagte mit dem Verdacht widerrechtlicher Aneignung von 5 EUR Fundgeld.
Das Arbeitsgericht Berlin hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch keine der beiden Kündigungen aufgelöst worden sei bzw. – seinerzeit – noch werde. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigungen seien als sog. Verdachtskündigungen unwirksam, weil die Beklagte den Kläger vorher nicht ausreichend angehört habe. Ein Gespräch des Bezirksverkaufsleiters mit dem Kläger am 28. Januar 2009 habe nicht den Abschluss der Ermittlungstätigkeit gebildet. Bei dem erneuten Gespräch, zu dem der Kläger für den nächsten Tag in die Zentrale der Beklagte bestellt worden sei, habe diese versäumt, auf die vom Kläger geäußerte Bereitschaft einzugehen, sich zu den zur Sprache gebrachten Verdachtsmomenten über seinen Anwalt zu äußern.
Gegen dieses der Beklagten am 07. Mai 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 03. Juni 2009 von ihr und der Erwerberin ihrer Betriebe als Streithelferin eingelegte und nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist am 22. Juli 2009 begründete Berufung. Beklagte und Streithelferin meinen, dass die Pflicht zur Anhörung des Klägers jedenfalls nicht schuldhaft verletzt worden sei. Vielmehr sei der Kläger bereits am 28. Januar 2009 vom Bezirksverkaufsleiter ausreichend angehört worden, der ihm lediglich die Möglichkeit gegeben habe, die Sache „zu überschlafen”, um ggf. weitere Stellungnahmen abzugeben. Davon habe der Kläger jedoch am nächsten Tag keinen Gebrauch gemacht und auch nicht erklärt, wann er sich über seinen Anwalt äußern werde und ob dies in schriftlicher Form oder bei einer erneuten Anhörung geschehen solle. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zu der mündlichen Anhörung am 29. Januar 2009 habe er nicht verlangt. Bis zum Ausspruch der beiden Kündigungen sei dann auch keine anwaltliche Stellungnahme eingegangen. Schließlich habe die schriftsätzliche Einlassung im Rechtsstreit ohnehin keine den Kläger entlastende Darstellung gebracht, die sie zu einer anderen Bewertung des Sachverhaltes hätte kommen lassen.
Die Beklagte und Streithelferin beantragen,
die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er tritt den Angriffen der Berufung entgegen und hält weiterhin die Betriebsratsanhörung für fehlerhaft, weil dem Betriebsrat die schriftliche Stellungnahme seiner Stellvertreterin zu dem Vorgang nicht vorgelegt worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die Berufung ist zulässig. Sie konnte außer von der Beklagten selbst zugleich auch von ihrer Streithelferin gem. §§ 66, 67 ZPO eingelegt werden, weil diese als Rechtsnachfolgerin der Beklagten gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ein rechtliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits zu deren Gunsten hat. Die Berufung ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO entsprechend begründet worden.
2. Die Berufung ist in der Sache unbegründet.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist weder durch die außerordentliche Kündigung vom 02. Februar 2009 fristlos noch durch die ordentliche Kündigung vom 06. Februar 2009 fristgemäß zum 30. September 2009 aufgelöst worden.
2.1 Beide Kündigungen stellten sich mangels ausreichender Anhörung des Klägers als unverhältnismäßig dar und entsprachen damit nicht den Anforderungen des § 626 Abs. 1 BGB bzw. des § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 KSchG, wie das Arbeitsgericht zutreffend dargelegt hat (§...