Entscheidungsstichwort (Thema)
Bundesfreiwilligendienstvereinbarung als öffentlich-rechtliche Vereinbarung sui generis. Zugang einer verkörperten Willenserklärung unter Abwesenden. Passivlegitimation der Bundesrepublik bei Klagen von Freiwilligen im Bundesfreiwilligendienst. Forderungsübergang und Anrechenbarkeit von Taschengeld aus dem Bundesfreiwilligendienst bei gleichzeitigem Leistungsbezug nach dem SGB II
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Rechtsnatur des Bundesfreiwilligendienstverhältnisses.
2. Kein Zugang einer Kündigung bei Einwurf des Benachrichtigungszettels in den Briefkasten des Empfängers, wenn das Schreiben nicht abgeholt wird.
3. Passivlegitimation der Bundesrepublik (nicht der Einsatzstelle) für den Taschengeldanspruch eines Freiwilligen im Bundesfreiwilligendienst.
4. Auslegung einer Bundesfreiwilligendienstvereinbarung.
5. Kein Übergang von Taschengeldansprüchen auf Sozialleistungsträger, soweit nach § 11b Abs. 2 Satz 6 SGB II vom Taschengeld iSd. § 2 Nr. 4 des BFDG ein Betrag in Höhe von 200 Euro monatlich abzusetzen ist.
Normenkette
BFDG § 2 Nr. 4, § 17 Abs. 2; SGB II § 11b Abs. 2 S. 6; BGB § 130 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 04.07.2018; Aktenzeichen 60 Ca 14787/17) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 4. Juli 2018 - 60 Ca 14787/17 - teilweise abgeändert und die Klage abgewiesen, soweit das Arbeitsgericht dem Kläger einen über 1.340 Euro hinaus gehenden Betrag nebst Zinsen und Zinsen im Hinblick auf das Taschengeld für den Monat März 2018 für eine Zeit vor dem 3. April 2018 zugesprochen hat. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 23 vH. und die Beklagte 77 vH., von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz haben der Kläger 13 vH. und die Beklagte 87 vH. zu tragen.
3. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Für den Kläger wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger über den 9. September 2017 hinaus noch Bundesfreiwilliger war und ob er für die Zeit danach noch Taschengeld von der Beklagten beanspruchen kann.
Die Parteien schlossen im April 2017 eine Vereinbarung über einen Bundesfreiwilligendienst für die Zeit vom 1. August 2017 bis zum 31. Juli 2018.
Als Parteien dieser Vereinbarung sind der Kläger und die Beklagte genannt. Die Vereinbarung wird durch den Satz eingeleitet: "Ein Arbeitsverhältnis wird hierdurch nicht begründet."
Unter 3.1 der Vereinbarung heißt es ua.:
"Die Einsatzstelle ist aufgrund ihrer Anerkennung als Einsatzstelle (§ 6 BFDG) verpflichtet, im Auftrag des Bundesamtes
...
4. die Arbeitsschutzbestimmungen, das Jungendarbeitsschutzgesetz und das Bundesurlaubsgesetz entsprechend anzuwenden. Weiterhin ist sie verpflichtet, die einsatzspezifischen und arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften einzuhalten. Die Einsatzstelle hat die damit verbundenen Kosten zu tragen."
Unter 3.2 der Vereinbarung heißt es ua.:
"Die Einsatzstelle verpflichtet sich zur Gewährung folgender Leistungen an den Freiwilligen:
"1. Taschengeld (auch für die Zeit der Seminare und des Urlaubs) monatlich in Höhe von 200 Euro ...
3. Im Krankheitsfall werden Taschengeld und Sachbezüge für sechs Wochen weitergezahlt; nicht aber über die Dauer des Freiwilligendienstes hinaus. Die Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes finden keine Anwendung."
3.4 der Vereinbarung lautet:
"Bei einem unentschuldigten Fernbleiben vom Bundesfreiwilligendienst besteht kein Anspruch auf Zahlung der Geld- und Sachbezüge sowie der Sozialversicherungsbeiträge."
Unter 5.3 heißt es ua.:
"Die Kündigung bedarf der Schriftform ...
Das Kündigungsschutzgesetz findet keine Anwendung."
Außerdem enthält die Vereinbarung eine Regelung zu einer Probezeit von sechs Wochen, während der die Vereinbarung von beiden Vertragsparteien mit einer Frist von zwei Wochen kündbar sein sollte. Für die Zeit danach vereinbarten die Parteien eine Kündigungsfrist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende des Kalendermonats. Die Vereinbarung haben der Kläger und ein Vertreter der Beklagten unterzeichnet. Mit einigem Abstand finden sich darüber hinaus unter "Einverstanden:" Unterschriften für die Einsatzstelle und für eine Zentralstelle.
Am 12. September 2017 wurde dem Kläger in seiner Einsatzstelle bei Dienstantritt mitgeteilt, dass der Dienst durch eine Kündigung zum 9. September 2017 beendet worden sei.
Mit Schreiben vom 26. September 2017 widersprach der Kläger einer etwaigen Kündigung. Am 29. September 2017 teilte die Beklagte ihm mit, die Kündigung sei ihm zum 9. September 2017 per Einschreiben zugestellt worden. Am 1. Oktober 2017 verhängte die Einsatzstelle gegen den Kläger ein Hausverbot. Für die ersten neun Tage des Monats September 2017 erhielt der Kläger noch einen Betrag in Höhe von 60 Euro.
Die Beklagte teilte dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 6. November 2017 mit, dass eine Kündigung am 23. August 2017 in ein Postfach des Klägers zur Abholung gelegt...