Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschlechtsbezogene Benachteiligung durch Kündigung einer schwangeren Rechtsanwaltsfachangestellten in Kenntnis der Schwangerschaft. Entschädigungsklage der Arbeitnehmerin bei unzureichenden Darlegungen des arbeitgebenden Rechtsanwalts zur Unkenntnis über den Fortbestand der Schwangerschaft
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG, wonach für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten, schließt einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht aus.
2. Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und dem Merkmal Schwangerschaft/Geschlecht ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Schwangerschaft anknüpft oder durch diese begründet ist, wozu der betreffende Grund (die Schwangerschaft) nicht der ausschließliche Beweggrund für das Handeln sein muss; ausreichend ist vielmehr, dass das Merkmal Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat.
3. Auf ein schuldhaftes Handeln oder eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an; die Schwangerschaft muss nicht vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder "Triebfeder" des Verhaltens sein, so dass eine bloße Mitursächlichkeit genügt.
4. Geht die Kündigung während bestehender Schwangerschaft zu und verstößt sie damit objektiv gegen das Verbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG, zeigt diese in Kenntnis der Schwangerschaft erfolgte Missachtung der besonderen Schutzvorschriften des Mutterschutzgesetzes zu Gunsten der werdenden Mutter eine Benachteiligung der Arbeitnehmerin wegen ihrer Schwangerschaft und damit wegen ihres Geschlechts gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG und § 1 AGG an; aufgrund diese Anzeichens besteht gemäß § 22 AGG die Vermutung der Benachteiligung wegen des Geschlechts.
5. Die Dauer und Berechnung der gesetzlichen Schutzfrist, während der ein Beschäftigungsverbot besteht, ist ohne weiteres dem Gesetz in § 3 Abs. 2 MuSchG zu entnehmen; einer zusätzlichen Information durch die schwangere Arbeitnehmerin bedarf es nicht.
6. Teilt die Arbeitnehmerin eine etwaige vorzeitige Beendigung des ärztlich angeordneten individuellen Beschäftigungsverbots gemäß § 3 Abs. 1 MuSchG oder ein vorzeitiges Ende der Schwangerschaft durch eine Fehlgeburt nicht mit, hat der Arbeitgeber keine Veranlassung zu der Annahme, dass die ihm gegenüber ordnungsgemäß angezeigte Schwangerschaft nicht mehr besteht.
Normenkette
AGG § 15 Abs. 2, § 22; MuSchG § 9 Abs. 1; AGG § 3 Abs. 2, §§ 1, 2 Abs. 4, § 3 Abs. 1 S. 2, § 7 Abs. 1; MuSchG § 3 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.05.2015; Aktenzeichen 28 Ca 18485/14) |
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08.05.2015 - 28 Ca 18485/14 - wird zurückgewiesen.
II. Die Widerklage wird abgewiesen.
III. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten noch um eine Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG im Hinblick auf eine Diskriminierung wegen des Geschlechts.
Die Klägerin war aufgrund Arbeitsvertrages vom 29. April 2014 seit dem 28. April 2014 als Rechtsanwaltsfachangestellte bei dem Beklagten in dessen Rechtsanwalts- und Notarkanzlei beschäftigt im Umfang von 30 Stunden pro Woche bei einer Vergütung von 1.175,-- € brutto monatlich. Eine Probezeit von sechs Monaten war zwischen den Parteien vereinbart.
Die Klägerin war bei oder kurz nach Beginn des Arbeitsverhältnisses schwanger. Die Schwangerschaft wurde am 28. Mai 2014 unter Angabe des errechneten voraussichtlichen Entbindungstermins am 25. Januar 2015 im Mutterpass ärztlich festgestellt.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin in Unkenntnis der Schwangerschaft innerhalb der Probezeit mit Schreiben vom 11. Juni 2014, der Klägerin am 12. Juni 2014 zugegangen. Daraufhin teilte die Klägerin dem Beklagten mit Schreiben vom 19. Juni 2014, am 20. Juni 2014 zugegangen, ihre Schwangerschaft mit und legte den Mutterpass in Kopie vor. Sie führte ein Kündigungsschutzverfahren gegen den Beklagten hinsichtlich der Kündigung vom 11. Juni 2014, in dem sie mit rechtskräftigem Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. August 2014 - Az. 28 Ca 9310/14 - rechtskräftig obsiegte. Nach der Kündigung vom 11. Juni 2014 arbeitete die Klägerin nicht mehr bei dem Beklagten, ab dem 1. Juli 2014 bestand ein ärztliches individuelles Beschäftigungsverbot in der Schwangerschaft bis zum 13. Dezember 2014 (Samstag), von dem der Beklagte Kenntnis hatte.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, ohne die Zustimmung des zuständigen Landesamtes für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit eingeholt zu haben, mit Schreiben vom 18. Dezember 2014, der Klägerin am 19. Dezember 2014 zugegangen, unter Hinweis darauf, dass die Klägerin seit dem Ende des ärztlichen Beschäftigungsverbots bis zum 13. Dezember 2014 unentschuldigt fehle.
Die Klägerin wies den Beklagten mit Schreiben vom 16. Dezember 2014, am 19. De...