Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO auch bei nicht datenschutzrechtlichen Belangen. Rechtsmissbräuchlichkeit eines Auskunftsverlangens. Verweigerung der Auskunft wegen berechtigtem Interesse Dritter. Beweislast des Arbeitgebers für Verweigerung der Auskunft wegen Geheimhaltungsinteressen. Abwägung zwischen Auskunftsanspruch und Geheimhaltungsinteresse. Schmerzensgeld wegen Mobbing bei schwerwiegendem Eingriff in Persönlichkeitsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Anträge auf Auskunft und Erteilung einer Datenkopie können auch dann auf Artikel 15 DSGVO gestützt werden können, wenn sie nicht dem in Erwägungsgrund 63 Satz 1 zur DSGVO genannten Zweck dienen, sich der Verarbeitung der personenbezogenen Daten bewusst zu werden und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können, und denen daher - ausschließlich oder ganz überwiegend - andere als datenschutzrechtliche Belange zugrunde liegen. In solchen Fällen ist das Begehren nicht rechtsmissbräuchlich und offenkundig unbegründet oder exzessiv im Sinne von Artikel 12 Absatz 5 Satz 2 DSGVO.
2. Nach § 34 Absatz 1 in Verbindung mit § 29 Absatz 1 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) besteht das Recht auf Auskunft der betroffenen Person gemäß Artikel 15 DSGVO nicht, soweit durch die Auskunft Informationen offenbart würden, die nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen. Dies können auch Interessen sein, Informationen Beschäftigter gegenüber dem Arbeitgeber zum Zweck der Aufklärung innerbetrieblichen Fehlverhaltens geheim zu halten.
3. Zwischen den Interessen des Auskunftsberechtigten und berechtigten Geheimhaltungsinteressen ist eine Abwägung vorzunehmen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, die im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung im Einzelfall die Verweigerung der begehrten Auskunft über die Person des Hinweisgebers rechtfertigen sollen, trägt nach allgemeinen Grundsätzen der auf Auskunft in Anspruch genommene Verantwortliche, vorliegend der Arbeitgeber.
4. Der Arbeitgeber hat deshalb vorzutragen, welche konkreten personenbezogen Daten nicht herausgegeben werden können, ohne dass schützenswerte Interessen tangiert werden. Zu dieser Darlegung müssen nicht schon die personenbezogenen Daten als solche preisgegeben werden. Ausreichend, aber auch erforderlich ist es, darzulegen, auf welche genauen Informationen (Sachverhalt/Vorfall/Thema in zeitlicher und örtlicher Eingrenzung nebst handelnden Personen) sich das überwiegende berechtigte Interesse an einer Geheimhaltung beziehen soll.
5. Zu Ansprüchen auf Schmerzensgeld wegen behaupteten Mobbings (im vorliegenden Einzelfall verneint).
Normenkette
VO (EU) 2016/679 Art. 15 Abs. 3; BGB §§ 241, 253, 823; DSGVO Art. 12 Abs. 5 S. 2, Art. 15; ZPO § 92 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 06.09.2022; Aktenzeichen 3 Ca 358/22) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 6. September 2022 - 3 Ca 358/22 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Kopien der ausgefüllten und ungeschwärzten Gesprächsprotokolle, die im Zusammenhang mit der Befragung von Mitarbeitern zum Führungsstil des Klägers erstellt wurden, zur Verfügung zu stellen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits I. Instanz haben der Kläger 86% und die Beklagte 14% zu tragen, von den Kosten des Rechtsstreits II. Instanz der Kläger 84% und die Beklagte 16%.
IV. Die Revision der Beklagten wird zugelassen, die Revision des Klägers wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Auskunftsanspruch nach Artikel 15 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sowie über Schadensersatz.
Der 63 Jahre alte Kläger ist seit dem 15. Oktober 1990 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger beschäftigt, seit dem 1. Januar 1993 als Verkaufsleiter im Außendienst mit einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 11.402,00 Euro. Hierin eingeschlossen sind Prämien, deren Höhe wesentlich von der Leistungseinschätzung des Vorjahres abhängt. Der Kläger hatte in den letzten Jahren in der Regel eine Bewertung für Leistungen, die die Erwartungen überfüllten oder Leistungen, die die Erwartungen erfüllten.
Die Beklagte gehört zu einem US-amerikanischen Lebensmittelkonzern, der in Deutschland mit rund 1.900 Beschäftigten an mehreren Standorten tätig ist. Der Kläger ist dem Betrieb in Bremen zugeordnet. Dort ist ein Betriebsrat vorhanden.
Der Kläger arbeitet hauptsächlich im Home-Office. Er war bis Anfang 2022 Leiter eines Außendienstteams mit circa 10 bis 14 Beschäftigten.
Im Juni 2021 wurde die Beklagte von der Betriebsratsvorsitzenden informiert, dass sich eine Mitarbeiterin aus dem Team des Klägers über Mobbing durch ihren Vorgesetzten, den Kläger, beschwert habe. Der Betriebsrat hatte zuvor vergeblich mit der BEM-Beauftragten einen Schlichtungsversuch unternommen. In der Folgezeit kam es zu erfolglosen Versuchen der Mediation unter Hi...