Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage einer „Arbeitsfähigkeitsbescheinigung”. Direktionsrecht. Beweiswert
Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitgeber kann das Angebot des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung (§ 294 BGB) nicht mit der Maßgabe zurückweisen, dieser müsse erst eine „Arbeitsfähigkeitsbescheinigung” vorlegen. Hierfür bedürfte es einer besonderen Rechtsgrundlage (so schon LAG Berlin 10.05.2001 – 10 Sa 2695/00 – LAGE § 626 BGB Nr. 135; LAG Frankfurt/M. 04.12.1994 – 7 Sa 956/84 – ArbuR 1985, 291 nur L), wie z. B. § 9 Nr. 1 Abs. 6 MTV Metall NRW vom 24.08.2001/01.09.2001.
2. § 9 Nr. 1 Abs. 6 MTV-Metall gibt dem Arbeitgeber nicht die Befugnis, durch Ausübung seines Weisungsrechts nach § 315 Abs. 1 BGB (seit dem 01.01.2003: § 106 Satz 1 GewO), sich das Ende der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers ausschließlich durch eine Bescheinigung der Krankenkasse nachweisen zu lassen.
3. § 9 Nr. 1 Abs. 6 MTV-Metall enthält keine Einschränkung hinsichtlich des Kreises von Ärzten, von denen sich der Arbeitnehmer die Wiedererlangung seiner Arbeitsfähigkeit bescheinigen lassen darf. Deshalb kann der Arbeitnehmer auch eine Bescheinigung des ihn behandelnden Arztes vorlegen.
4. Hinsichtlich des Beweiswerts einer ärztlichen „Arbeitsfähigkeitsbescheinigung” und seiner Erschütterung gelten die vom Bundesarbeitsgericht zur ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entwickelten Grundsätze (vgl. z. B. BAG 19.02.1979 – 5 AZR 83/96 – EzA § 3 EFZG Nr. 2 entsprechend (vgl. schon Hess. LAG 30.01.1995 – 11 Sa 480/93 – LAGE § 7 BurlG Abgeltung Nr. 6).
Normenkette
BGB §§ 294, 297, 611 Abs. 1, § 615 S. 1; EFZG § 5; MTV-Metall NRW § 9 Nr. 1 Abs. 6
Verfahrensgang
ArbG Wuppertal (Urteil vom 10.12.2002; Aktenzeichen 6 Ca 5531/01) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom10.12.2002 – 6 Ca 5531/01 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 18.688,89 EUR brutto abzüglich gezahlter 3.201,66 EUR netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 1.504,32 EUR brutto seit dem 01.01.2002 und aus jeweils zusätzlich 2.423,43 EUR brutto seit dem 01.02., 01.03, 01.04., 01.05., 01.06., 01.07., 01.09., 01.10. und 01.11.2002 zu zahlen.
- Im Übrigen wird die Klage, soweit der Kläger sie nicht zurückgenommen hat, abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Die Berufung des Klägers wird insgesamt zurückgewiesen.
IV. Die Kosten sowohl der ersten als auch der zweiten Instanz tragen die Beklagte zu 3/5 und der Kläger zu 2/5. V. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Für den Kläger wird keine Revision zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger, der anerkannter schwerbehinderter Mensch ist, ist seit dem 08.02.1984 bei der Beklagten, einem Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie, welches etwa 20 Arbeitnehmer beschäftigt und Grundkörper herstellt, zuletzt als Gruppenleiter gegen eine monatliche Vergütung in Höhe von zurzeit 2.423,43 EUR brutto (bis 31.12.2001: DM 4.739,82 brutto) beschäftigt. Die Vergütung für einen Monat wird von der Beklagten spätestens am zehnten Arbeitstag (so der Kläger) oder am achten Arbeitstag (so die Beklagte) des Folgemonats abgerechnet und gezahlt. Der Kläger ist seit 1987 Mitglied und seit 1998 Vorsitzender des Betriebsrats. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft einzelvertraglicher Bezugnahme u. a. der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein- Westfalens vom 24.08.2001/11.09.2001 (künftig: MTV-Metall) Anwendung.
Mit Schreiben vom 26.03.2001 bat die Beklagte den Betriebsrat um Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers aus krankheitsbedingten Gründen. Nach Verweigerung der Zustimmung durch den Betriebsrat begehrte die Beklagte mit einem beim Arbeitsgericht Wuppertal am 03.04.2001 eingereichten Antrag die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung. Dieses Verlangen wies das Arbeitsgericht Wuppertal durch Beschluss vom 12.06.2001 – 7 BV 32/01 – zurück. Hiergegen legte die Beklagte form- und fristgerecht Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf ein. Im Anhörungstermin vom 23.10.2001 – 8 TaBV 45/01 – erklärte der am Beschlussverfahren beteiligte Kläger, er verpflichte sich, was er im übrigen auch in der Vergangenheit getan habe, die Beklagte in bestimmten Abständen über seinen Gesundheitszustand zu informieren und bei Bedarf ein ärztliches Attest beizubringen, aus dem sich eine Prognose hinsichtlich der Wiedererlangung seiner Arbeitsfähigkeit ergebe. Daraufhin nahm die Beklagte ihre Beschwerde zurück.
Vom 04.07.2001 an war der Kläger aufgrund einer psychosomatischen Erkrankung durchgehend arbeitsunfähig. Am 09.11.2001 befürwortete die den Kläger behandelnde Ärztin, Frau B. S., Fachärztin für Psychatrie-Psychotherapie, in S. eine stufenweise Wiedereingliederung des Klägers in das Erwerbsleben. Der von ihr erstellte Wiedereingliederungsplan sah eine Tätig...