Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Hauptgeschäftsführerin einer Rechtsanwaltskammer wegen Nutzung der Ressourcen der Arbeitgeberin für Nebentätigkeiten
Leitsatz (redaktionell)
Die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Hauptgeschäftsführerin einer Rechtsanwaltskammer wegen Nutzung der Ressourcen der Arbeitgeberin für Nebentätigkeit ist jedenfalls dann unwirksam, wenn ihr eine Abmahnung nicht vorausgegangen ist.
Normenkette
BGB § 626 S. 1, § 611
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 12.08.2016; Aktenzeichen 14 Ca 6964/15) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 12.08.2016 - 14 Ca 6964/15 - teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 126.755,69 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 13.881,61 € seit dem 01.12.2015 sowie aus jeweils 14.109,26 € seit dem 01.01.2016, 01.02.2016, 01.03.2016, 01.04.2016, 01.05.2016, 01.06.2016 und 01.07.2016 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt noch über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigung und die Zahlung von Verzugslohn.
Die Beklagte ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft und vertritt die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus dem Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Sie beschäftigt in ihrer Geschäftsstelle insgesamt 22 Mitarbeiter. Ihr Vorstand und ihr Präsidium sind ehrenamtlich tätig.
Die Klägerin, geboren am 21.02.1960 und verheiratet, ist seit dem 01.05.2004 bei der Beklagten als Hauptgeschäftsführerin zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von EUR 15.264,71 tätig. Sie ist verantwortlich für die Erledigung operativer Aufgaben, insbesondere in berufs- und gebührenrechtlichen Fragestellungen, für die Leitung der Geschäftsstelle und die fachliche Führung der dort beschäftigten Mitarbeiter. Sie ist nicht zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Mitarbeitern berechtigt. Im Übrigen arbeitet sie völlig selbstständig und unterliegt keiner Überwachung. Neben ihrem Gehalt hat die Klägerin Anspruch auf Übernahme der Beiträge zur Höherversicherung in dem Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Höhe von 3/10 des Regelpflichtbeitrags und erhält Reisekostenerstattung für mit ihrem privaten PKW gefahrene Kilometer in Höhe von zuletzt EUR 0,50 pro Kilometer.
Die vertraglichen Beziehungen der Parteien bestimmen sich insgesamt nach dem Arbeitsvertrag vom 18.12.2003 (Bl. 67 ff. dA.). Nach § 6 dieses Vertrags gilt für die Wahrnehmung von Nebenbeschäftigungen insbesondere folgendes:
"§ 6 Nebenbeschäftigung
(1) Frau Rechtsanwältin Dr. P.-C. ist es gestattet, eine eigene Rechtsanwaltskanzlei zu führen. Ohne im Einzelfall eine Erlaubnis einholen zu müssen, ist sie zur Wahrnehmung von Terminen im Rahmen ihrer anwaltlichen Tätigkeit während der üblichen Dienstzeiten berechtigt.
(2) Veröffentlichungen und Vorträge durch Frau Rechtsanwältin Dr. P.-C. bedürfen der Zustimmung der Rechtsanwaltskammer, wenn dadurch die Interessen der Rechtsanwaltskammer berührt werden.
(3) [...]
(4) Andere Nebenbeschäftigungen sind nur zulässig, wenn dadurch das Arbeitsverhältnis nicht beeinträchtigt wird. Damit die Rechtsanwaltskammer die Frage der Beeinträchtigung prüfen kann, ist jede Nebenbeschäftigung vor Aufnahme anzuzeigen.
Entsprechend der vertraglichen Regelung zur Nebenbeschäftigung unterhält die Klägerin eine eigene Rechtsanwaltskanzlei an ihrem Wohnsitz.
Die Klägerin publiziert in großem Umfang Aufsätze und Kommentierungen. In den Jahren 2010 bis 2015 veröffentlichte sie 45 Aufsätze mit 1.360 Druckseiten zum Berufsrecht der Anwälte. Sie ist Herausgeberin des Praxishandbuchs Anwaltsrecht und hier selbst mit 541 Druckseiten beteiligt. Jedenfalls die Veröffentlichungen in den sog. Kammermitteilungen der Beklagten gehören zu den vertraglichen Aufgaben der Klägerin. Geschrieben wurden die Veröffentlichungen von den Mitarbeitern der Geschäftsstelle der Beklagten nach entsprechendem Diktat der Klägerin. Außerdem hält die Klägerin Vorträge. Insbesondere hielt die Klägerin in den Jahren 2014 und 2015 zwei Vorträge in Japan (vgl. zu den Veröffentlichungen und Vorträgen der Klägerin im Einzelnen die Aufstellung Anlage B 4, Bl. 76 ff. dA.). Auch die für die Vorträge der Klägerin erforderlichen Schreibarbeiten wurden von den Mitarbeitern der Geschäftsstelle der Beklagten erledigt. Im Nachgang zu dem im Jahr 2014 in Japan gehaltenen Vortrag schrieb die Mitarbeiterin N. auch die aufgezeichneten Wortbeiträge der Klägerin nieder.
Anfang des Jahres 2015 veröffentlichte die Klägerin einen Aufsatz zur Frage der Sozialversicherungspflicht von Syndikusanwälten im Anwaltsblatt, der nach Darstellung der Beklagten inhaltlich der von der Beklagten vertretenen Position widersprach.
Urlaub nahm die Klägerin jeweils ohne Genehmig...