Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung einer uneingeschränkten Verweisungsklausel in Alt- und Neuverträgen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Verweisungsklausel in einem vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform abgeschlossenen Arbeitsvertrag (sog. "Altvertrag") ist als "Neuvertrag" zu behandeln, wenn die Parteien nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform im Rahmen einer Vertragsänderung alle übrigen Regelungen des ursprünglichen Arbeitsvertrages - und damit auch die Verweisungsklausel - ausdrücklich bestätigen und damit noch einmal neu zum Gegenstand ihrer Willensbildung machen. Das ist bei der Verwendung der Klausel "Alle übrigen Punkte des Arbeitsvertrages behalten ihre Gültigkeit" in der Änderungsvereinbarung der Fall (Anschluss an LAG Düsseldorf vom 17.09.2015 - 13 Sa 449/15 und vom 12.05.2017 - 10 Sa 820/16).

2. In einem Neuvertrag nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform kommt die Auslegung einer uneingeschränkten Verweisungsklausel auf Bestimmungen eines bestimmten Tarifvertrages "in der jeweils geltenden Fassung" als sog. Gleichstellungsabrede regelmäßig nicht mehr in Betracht. Die Verweisung wirkt damit nach dem Austritt des Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband dynamisch fort und verliert ihre dynamische Wirkung auch nicht im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber.

3. Wendet sich ein Arbeitnehmer nach unterbliebener Weitergabe einer Tariflohnerhöhung an seinen Arbeitgeber und bittet diesbezüglich lediglich um "Stellungnahme", liegt darin keine Geltendmachung im Sinne der tariflichen Ausschlussfrist des § 24 des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel NRW. Eine Geltendmachung setzt vielmehr die unmissverständliche Aufforderung zur Erfüllung einer bestimmten Forderung voraus.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, § 305 ff., § 613a; MTV Einzelhandel NRW § 24

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 23.09.2016; Aktenzeichen 4 Ca 2552/16)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 23.09.2016 - Az.: 4 Ca 2552/16 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    1. Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 29.06.2016 - Az.: 4 Ca 2552/16 - bleibt hinsichtlich des Tenors Ziffer 2 (Feststellung) aufrechterhalten. Zum Tenor Ziffer 1 bleibt das Versäumnisurteil aufrechterhalten, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin 1.263,60 € brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 157,95 € seit dem 01.10.2015, aus weiteren 157,95 € seit dem 01.11.2015, aus weiteren 157,95 € seit dem 01.12.2015, aus weiteren 157,95 € seit dem 01.01.2016, aus weiteren 157,95 € seit dem 01.02.2016, aus weiteren 157,95 € seit dem 01.03.2016, aus weiteren 157,95 € seit dem 01.04.2016 und aus weiteren 157,95 € seit dem 01.05.2016.
    2. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
  • II.

    Die darüber hinausgehende Berufung wird zurückgewiesen.

  • III.

    Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 78% und die Klägerin zu 22%. Ausgenommen hiervon sind die durch die Säumnis der Beklagten im erstinstanzlichen Termin vom 29.06.2016 verursachten Kosten, die diese allein zu tragen hat.

  • IV.

    Die Revision wird für die Beklagte, nicht jedoch für die Klägerin zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche für die Zeit ab September 2013, die von der Frage abhängen, ob die Beklagte verpflichtet ist, Tariflohnerhöhungen für Mitarbeiter des Einzelhandels Nordrhein-Westfalen an die Klägerin weiterzugeben.

Die Beklagte betreibt E.-G.-Shops an Flughäfen. Die am 12.06.1961 geborene Klägerin ist seit dem 01.12.1990 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, der Gebr. I. SE & Co. KG als Verkäuferin/Kassiererin auf der Grundlage des mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten abgeschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrages vom 27.02.1992 (Blatt 67 ff. der Akte) beschäftigt.

Die Klägerin ist Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten war bei Vertragsschluss und durchgehend bis 31.12.2011 Mitglied im Arbeitgeberverband für den Einzelhandel NRW.

Im Arbeitsvertrag vom 27.02.1992 ist unter anderem folgendes geregelt:

"1. Der Mitarbeiter wird ab dem 01.04.1992 für I. im Angestelltenverhältnis als Verkäuferin/Kassiererin tätig. (...)

2. Das Anstellungsverhältnis richtet sich nach den Bestimmungen der Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen nebst Nachfolgeverträgen sowie etwaigen Betriebsvereinbarungen/-ordnungen in ihrer jeweils geltenden Fassung. (...)

5. Der Mitarbeiter wird in die Gehaltsgruppe GII Staffel 3.-5. J.d.T. des geltenden Gehaltstarifvertrages eingestuft. (Tarifgehalt derzeit DM 2.706,--). Zusätzlich erhält der Mitarbeiter eine übertarifliche Zulage von DM 417,68 brutto; damit beträgt die vereinbarte Gesamtvergütung (nachfolgend kurz: Gehalt) monatlich DM 3.123,68 brutto. Das Gehalt wird bargeldlos zum Monatsende auf ein vom Mitarbeiter einzurichtendes Konto überwiese...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?