Entscheidungsstichwort (Thema)
Entbindung von Weiterbeschäftigung. offensichtliche Unbegründetheit des Widerspruchs. Tendenzträger
Leitsatz (amtlich)
1. Schlussredakteure, die in Presseunternehmen Texte auf einheitliche Schreibweise, Stil und formale Richtigkeit überprüfen, sind keine Tendenzträger.
2. Eine Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung liegt nicht vor, wenn es der Arbeitgeber in der Hand hat, durch einfache organisatorische Maßnahmen noch vorhandene Tätigkeiten zu einem ursprünglich vorhandenen, dann wegrationalisierten Arbeitsplatz zusammenzufassen.
3. Eine arbeitsvertragliche Freistellungsklausel für den Fall einer Kündigung erfasst jedenfalls nicht den Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG.
4. Textredakteure sind Tendenzträger. Sie sind bei einer Sozialauswahl offensichtlich nicht mit Schlussredakteuren vergleichbar.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 26.08.2008; Aktenzeichen 24 Ga 4/08) |
Tenor
Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 26. August 2008 – 24 Ga 4/08 – abgeändert:
Die Antragstellerin wird gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG per 01. Oktober 2008 von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung der Antragsgegnerin befreit.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Tatbestand
Die Verfügungsklägerin (Klägerin), ein Presseunternehmen, verlangt im Wege der einstweiligen Verfügung die Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht der Verfügungsbeklagten (Beklagten) gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG. Die 1955 geborene Beklagte ist seit dem 1. Oktober 1991 als Schlussredakteurin für eine Programmzeitschrift tätig. Sie verfügt über ein abgeschlossenes Hochschulstudium für das Lehramt, ein journalistisches Volontariat hat sie nicht absolviert. Die Beklagte ist Betriebsratsmitglied und war für die Dauer von ca. 9 Jahren bis zum 6. Dezember 2007 freigestellt.
Mit Schreiben vom 29. Januar 2008 hörte die Klägerin den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu einer fristgemäßen Kündigung der Beklagten an und verwies zur Begründung auf den von ihr beschlossenen Wegfall der Arbeitsplätze von Schlussredakteuren.
Mit Schreiben vom 29. Januar 2008 widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung u.a. mit der Begründung, es gäbe mehrere namentlich mit ihren Sozialdaten benannte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die mit der Beklagten vergleichbar und sozial stärker seien.
Mit Schreiben vom 30. Januar 2008 kündigte die Klägerin fristgemäß zum 30. September 2008 und stellte die Beklagte unter Anwendung der in § 14 des Arbeitsvertrages vereinbarten Freistellungsklausel unter der dort genannten Fortzahlung der Vergütung frei.
Mit ihrer bei Gericht am 5. Februar 2008 eingegangenen Klage wandte sich die Beklagte gegen die Kündigung. Mit Schriftsatz vom 3. März 2008 verlangte die Beklagte ihre Weiterbeschäftigung. Mit nicht rechtskräftigem Teilurteil vom 28. Mai 2008 gab das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage statt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.
Durch das Urteil vom 26. August 2008 hat das Arbeitsgericht den Entbindungsantrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 24. September 2008 eingelegte und sogleich begründete Berufung der Klägerin.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 26. August 2008 – 24 Ga 4/08 abzuändern
und die Verfügungsklägerin gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG per 1. Oktober 2008 von der Weiterbeschäftigung der Verfügungsbeklagten zu befreien.
Im Übrigen wird gemäß § 69 Abs. 4 ArbGG i.V.m. § 313 a Abs. 1 ZPO von der weiteren Darstellung des Tatbestandes abgesehen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und im Übrigen form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden und damit zulässig (§§ 64 Abs. 6, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung ist auch begründet. Jedenfalls nach der Glaubhaftmachung in zweiter Instanz hat die Klägerin die Voraussetzungen für eine Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht im Wege der einstweiligen Verfügung gemäß § 102 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG dargelegt.
1. Mit dem Arbeitsgericht geht die Kammer davon aus, dass der Weiterbeschäftigungsanspruch der Beklagten gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG ausgelöst wurde, dass weder der Tendenzschutz, noch eine Unmöglichkeit der Beschäftigung, noch die arbeitsvertragliche Freistellungsklausel entgegenstehen.
a. Die Klägerin unterfällt als Unternehmen, das Presseerzeugnisse herstellt, dem Schutz des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates müssen aber erst dann zurückstehen, wenn sie die Tendenzverwirklichung ernsthaft beeinträchtigen und damit in das Grundrecht der Pressefreiheit eingreifen. Dies kann – wie das Arbeitsgericht zutreffend ausführt – nur der Fall sein, wenn der durch die personelle Maßnahme betroffene Arbeitnehmer Tendenzträger ist und die personelle Maßnahme tendenzbezogen ist.
Beschäftigte sind Tendenzträger, wenn die Bestimmungen und Zwecke des...