Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO. Zulässigkeit einer Teilkündigung bei entsprechender Vereinbarung. Keine unangemessene Benachteiligung durch Kündigung einer Home-Office-Arbeitsplatz-Abrede. Blue-Pencil-Test i.S.d. § 306 Abs. 1 BGB
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein "Rechtsverhältnis" im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO setzt nicht voraus, dass der Bestand einer vertraglichen oder anderen rechtlichen Beziehung zwischen den Parteien insgesamt im Streit ist. Vielmehr können auch einzelne Beziehungen und Folgen aus einem Rechtsverhältnis Gegenstand der Feststellungsklage sein, etwa einzelne Ansprüche bzw. Verpflichtungen oder der Umfang einer Leistungspflicht.
2. Eine Teilkündigung, die nur einzelne Bestandteile des Arbeitsvertrags betrifft, ist im Grundsatz unzulässig, da eine einseitige Änderung von Vertragsbedingungen gegen den Willen des Vertragspartners nicht erfolgen kann. Die Teilkündigung einzelner arbeitsvertraglicher Vereinbarungen kann aber zulässig sein, wenn dem Kündigenden hierzu das Recht eingeräumt wurde. In diesem Fall erfolgt die einseitige Änderung der Vertragsbedingungen nicht gegen den Willen des anderen Vertragspartners, sondern aufgrund des vereinbarten Teilkündigungsrechts.
3. Die Abrede über einen Home-Office-Arbeitsplatz betrifft nicht eine vertraglich vorgesehene Leistung, sondern den Ort der Arbeitsleistung, der vom Direktionsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 S. 1 GewO umfasst ist. Die Zuweisung eines neuen Arbeitsorts unterliegt der Ausübung billigen Ermessens gemäß § 106 S. 1 GewO. Dies wahrt die Interessen des Arbeitnehmers in ausreichendem Maß.
4. Nach dem sog. "Blue-Pencil-Test" ist zu prüfen, ob eine teilnichtige Vertragsklausel zur Nichtigkeit des gesamten Vertrags führt (§ 139 BGB). Bei einer teilbaren Klausel ist dies gem. § 306 Abs. 1 BGB nicht der Fall. Die Teilbarkeit einer Klausel ist mittels des sogenannten Blue-Pencil-Tests durch Streichung des unwirksamen Teils zu ermitteln. Ist die verbleibende Regelung weiterhin verständlich, bleibt sie bestehen.
Normenkette
KSchG §§ 1-2; BGB § 308 Nr. 4, § 307 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1; BGB §§ 139, 305 Abs. 1, § 306 Abs. 1, § 310 Abs. 3 Nrn. 2-3; GewO § 106 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Rheine (Entscheidung vom 27.06.2022; Aktenzeichen 2 Ca 201/22) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 27.06.222 - 2 Ca 201/22 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger nach Maßgabe einer arbeitsvertraglichen Zusatzvereinbarung ein Anspruch darauf zusteht, seine Arbeitsleistung im Wesentlichen in seiner Wohnung in A erbringen zu können.
Die Beklagte betreibt ein Software-Unternehmen mit Sitz in B in der Nähe von C. Der Kläger wohnt in A. Er ist seit dem 01.02.2017 als Sales Account Manager für die Beklagte tätig. Die Parteien schlossen unter dem 28.11.2016 einen Anstellungsvertrag, dessen Nummer 1 wie folgt lautet:
Herr D. ist ab dem 01.02.2017 oder früher bei E als Sales Account Manager beschäftigt.
Der Mitarbeiter arbeitet von Zuhause aus (Home-Office). Dem Mitarbeiter ist jedoch bekannt, dass er an verschiedenen Einsatzorten, gegebenenfalls auch über längere Zeiträume hinweg, seine Arbeitsleistung zu verrichten hat. Der Mitarbeiter erklärt sich damit ausdrücklich einverstanden.
Unter dem 29.11.2016 trafen die Parteien eine "Zusatzvereinbarung über Tätigkeit im Home-Office", in der unter anderem Folgendes geregelt ist:
Vorbemerkung
Zwischen dem Mitarbeiter und E besteht seit dem 01.02.2017 oder früher ein Arbeitsverhältnis. Ab dem 01.02.2017 oder früher wird der Mitarbeiter seine Arbeitsleistung im Wesentlichen in seiner Wohnung (häusliche Arbeitsstätte) erbringen. Die häusliche Arbeitsstätte befindet sich in XXXXX A, F XX. (...)
§ 1 Arbeitsort/Häusliche Arbeitsstätte
Der Mitarbeiter ist verpflichtet, nach Arbeitsbedarf auch in den Unternehmensräumen tätig zu werden. Der Mitarbeiter hat während der Laufzeit dieser Vereinbarung jedoch keinen Anspruch auf einen dauerhaften Arbeitsplatz in diesen Unternehmensräumen.
(...)
§ 7 Beendigung der häuslichen Arbeit
Diese Vereinbarung endet spätestens mit dem Ende des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses aufgrund des Arbeitsvertrags vom 28.11.2016 sofern sie nicht vorher durch eine der Parteien gekündigt wird.
Die Kündigung dieser Vereinbarung bedarf der Schriftform und muss unter Einhaltung einer Frist von einem Monat ausgesprochen werden. Mit Ablauf der Kündigungsfrist endet die häusliche Arbeit, so dass der Mitarbeiter verpflichtet ist, seine Arbeitsleistung in den Unternehmensräumen zu erbringen.
(...)
Nachdem der Kläger seit Mitte 2021 arbeitsunfähig erkrankt war, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 28.01.2022 die Zusatzvereinbarung über Tätigkeiten im Home-Office zum 01.04.2022. In dem Schreiben heißt es unter anderem:
Wir müssen uns nach rund 8 Monaten gesundheitlich bedingten Ausfalls Ihrer Arbeitslei...