Entscheidungsstichwort (Thema)
Wichtiger Grund. Whistleblowing. Jugendamt. Außerordentliche Kündigung (Whistleblowing). Vorschnelle Anzeige des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
Die vorschnelle Anzeige angeblichen Fehlverhaltens des Arbeitgebers beim Jugendamt durch eine Arbeitnehmerin, die mit der Betreuung von Kleinkindern beschäftigt ist, stellt einen wichtigen Kündigungsgrund dar.
Normenkette
BGB § 626; GG Art. 2; BGB § 626 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Entscheidung vom 13.12.2011; Aktenzeichen 5 Ca 2681/11) |
Tenor
1.
Die Berufung der Klägerin gegen das am 13.12.2011 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Aachen - 5 Ca 2681/11 d - wird zurückgewiesen.
2.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
3.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung vom 18.07.2011 und restliche Vergütung für die Zeit bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.07.2011. Die Klägerin war bei den beklagten Eheleuten seit dem 11.05.2011 als Hauswirtschafterin gegen eine Vergütung von 1.800,00 € brutto angestellt und dabei mit der Betreuung der beiden Kinder (2 Jahre und 10 Monate alt) beschäftigt. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 69 ArbGG abgesehen.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung der Arbeitsvergütung für die Zeit vom 01. bis zum 18.07.2011 einschließlich Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.380,29 € (richtig: 1.280,29 €) verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen, weil die fristlose Kündigung durch die Beklagten wegen einer rücksichtslosen Anzeige der Klägerin beim Jugendamt der Stadt D berechtigt gewesen sei. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf Blatt 55 ff. der Akten Bezug genommen.
Mit ihrer Berufung macht die Klägerin weiterhin geltend, dass die außerordentliche Kündigung mangels wichtigen Grundes unwirksam sei. Sie habe - nach Erhalt der ordentlichen Kündigung - das Recht zur Information des Jugendsamtes gehabt. Das Jugendamt sei nicht die Staatsanwaltschaft, sondern solle klären, ob Missstände vorlägen. Es sei sicherlich sinnvoll, bei überlasteten Eltern das Jugendamt einzuschalten. Komme es zu dem Ergebnis, dass eine Misshandlung des Kindes vorliege, so habe es gegebenenfalls die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Die bloße Information des Jugendamtes stelle noch keine unzulässige Handlung zu Lasten des Arbeitgebers dar.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 13.12.2011 - 5 Ca 2681/11 d -
1.
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung vom 18.07.2011, sondern erst zum 31.07.2011 aufgelöst ist;
2.
die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie weitere 929,10 € zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten das Vorbringen der Klägerin zur angeblichen Verwahrlosung ihrer Tochter J , geboren am .2010, für widersprüchlich und durch das Attest des Kinderarztes vom 19.07.2011 (Kop. Bl. 27 d.A.) für widerlegt. Jedenfalls hätte die Klägerin ihre Vorwürfe vor einer Anzeige beim Jugendamt zunächst mit ihnen besprechen müssen, um eine "innerbetriebliche Klärung" herbeizuführen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Klägerin ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.
Das Arbeitsgericht hat die gegen die fristlose Kündigung gerichtete Klage ebenso wie die weitergehende Zahlungsklage zu Recht abgewiesen. Die dagegen gerichteten Angriffe der Berufung rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist beendet werden, wenn Gründe vorliegen die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsteile als nicht zumutbar erscheinen lassen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist aufrecht zu erhalten. Vorliegend stellt die Anzeige der Klägerin gegenüber dem Jugendamt als kommunale Aufsichtsbehörde auch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einen wichtigen Grund im Sinne dieser Vorschrift dar, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann eine vom Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber erstattete Anzeige bei einer staatlichen Behörde einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. BAG vom 05.02.1959 - 2 AZR 60/56 - [...]; BAG vom 04.07.1991 - 2 AZR 80/91 - [...]; BAG vom 03.07.2001 - 2 AZR 2353/02 - [...]). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt e...