Strafanzeige ist kein Kündigungsgrund

Eine Strafanzeige gegen den Vereinsvorstand wegen des Verdachts der Veruntreuung von Geldern rechtfertigte die fristlose Kündigung einer Arbeitnehmerin nicht, entschied das LAG Mecklenburg-Vorpommern. Das Arbeitsverhältnis wurde dennoch aufgelöst.

Wenn Beschäftigte eine Strafanzeige gegen den Arbeitgeber stellen, weil sie strafbares Verhalten vermuten, ist dies grundsätzlich kein Grund für eine fristlose Kündigung, sondern ihr gutes Recht. Anderes gilt, wenn die Vorwürfe auf einer bewusst wahrheitswidrigen oder fahrlässigen Annahme beruhen.

Im Einzelfall kann auch eine Strafanzeige ohne vorherigen Versuch einer innerbetrieblichen Klärung zu einer wirksamen Kündigung führen. Nach Auffassung des LAG Mecklenburg-Vorpommern hatte die Arbeitnehmerin im vorliegenden Fall keine Pflicht zur vorherigen innerbetrieblichen Klärung, da eine Abhilfe durch den Arbeitgeber, einen Verein der Jugendhilfe, berechtigterweise nicht zu erwarten war. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses hielt das Gericht wegen des persönlichen Machtkampfs zwischen den Parteien für richtig.

Der Fall: Arbeitnehmerin erstattet Strafanzeige

Die Arbeitnehmerin war seit April bei einem Verein, der sich um junge Menschen, insbesondere aus prekären Verhältnissen, mit Missbrauchs -oder Gewalterfahrungen, kümmert, beschäftigt. Zu ihrer Tätigkeit als "Koordinatorin Hilfe für junge Erwachsene" gehört laut Arbeitsvertrag die Koordination aller pädagogischen und therapeutischen Hilfen sowie Kontakt und Netzwerk zu Klientel, Jugendämtern, Eltern, Kollegen und Therapeuten, Koordination von Reisen, Terminen und Fachkräften. Zugleich ist sie Vorstandsmitglied und Stellvertreterin der Vorstandsvorsitzenden.

Im November 2021 erstattete sie online Strafanzeige bei der Polizei Nordrhein-Westfalen gegen die pädagogische Leitung des Vereins, die zugleich erste Vorsitzende ist.

Veruntreuung von Vereinsgeldern?

Die Anzeige begründete sie mit dem Vorwurf der Veruntreuung von Vereinsgeldern und nannte dafür zahlreiche Beispiele: Diverse Rechnungen, die sie in gemeinsamen E-Mail -Papierkörben gefunden habe, belegten, dass die Vorsitzende über Jahre Bestellungen machte, die dem Vereinszweck nicht zuzuordnen seien. Sie verdächtigte die Vorsitzende zudem, Gelder des Vereins für die Sanierung ihres privaten Hotels, Aufnahmen im Musikstudio oder Hotelübernachtungen mit ihrem Lebensgefährten verwendet zu haben. Als pädagogische Leitung sei diese selbstständig für den Verein tätig und habe als Vorstandsvorsitzende ausschließlichen Zugriff auf die Vereinskonten.

Fristlose Kündigung wegen Strafanzeige ohne vorherige Klärung

Im Februar 2022 wurde die Arbeitnehmerin nicht mehr in den Vorstand gewählt, stattdessen der Bruder der ersten Vorsitzenden. Der neu gebildete Vorstand beschloss, die Arbeitnehmerin aus dem Verein auszuschließen, im Mai folgte die ordentliche und betriebsbedingte Kündigung. Zur Begründung berief sich der Arbeitgeber auf den Wegfall des Betreuungsbereichs "junge Erwachsene". Des Weiteren kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung. Hier lautete die Begründung, dass die Mitarbeiterin Strafanzeige erstattet habe, ohne zuvor eine innerbetriebliche Klärung versucht zu haben.

LAG: Kündigungen waren unwirksam

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern entschied, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung beendet wurde. Das Gericht hielt beide Kündigungen für unwirksam.

Es stellte fest, dass die Arbeitnehmerin ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nicht schwerwiegend verletzt habe, indem sie Strafanzeige erstattet habe, ohne sich zuvor um eine innerbetriebliche Klärung bemüht zu haben. Es stelle regelmäßig keine Pflichtverletzung dar, wenn mit einer neutralen, unvoreingenommenen Aufarbeitung der Vorgänge innerhalb des Betriebs oder Unternehmens nicht zu rechnen sei, weil sich beispielsweise die Vorwürfe direkt gegen den Arbeitgeber oder seinen Repräsentanten richtet. Die ordentliche betriebsbedingte Kündigung hielt das Gericht für unwirksam, da der Arbeitgeber keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vorgetragen habe. 

Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung

Das Arbeitsgericht Stralsund hatte das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers jedoch gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 9.000 Euro brutto zum 31. Juli 2022 aufgelöst. Die Voraussetzungen für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses lagen laut LAG Mecklenburg-Vorpommern auch vor, da das Ver­hält­nis zwi­schen Ar­beit­neh­merin und Verein durch per­sön­li­che Feind­schaft sowie per­sön­li­chen Macht­kampf ge­prägt war. Äußerungen der Arbeitnehmerin auf Social Media enthielten persönliche Angriffe auf die Vorsitzende, die keinen Bezug mehr zum Arbeitgeber und dessen Geschäftstätigkeit aufweisen würden.

Hinweis: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 15.08.2023, Az: 5 Sa 172/22


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