Leitsatz
Oft, aber nicht immer führt die Erstattung einer Strafanzeige gegen den eigenen Arbeitgeber zur Kündigung. Wenn der Arbeitnehmer nicht leichtfertig handelt und ein innerbetrieblicher Klärungsversuch keine Erfolgsaussichten hatte, hat er in einem Kündigungsschutzverfahren gute Aussichten auf Erhalt seines Arbeitsplatzes. Auf den Ausgang des von ihm angestoßenen Strafverfahrens kommt es nicht entscheidend an. Anders sieht es dagegen aus, wenn die Anzeige ersichtlich ein Schikaneversuch war.
Sachverhalt
Ein Krankenwagenfahrer bei einem gemeinnützigen Verein, der auf dem Gebiet der häuslichen Krankenpflege tätig ist, hatte gegen die Vorsitzende des Vereins Anzeige wegen Veruntreuung erstattet, weil der Verein die Löhne und Gehälter nicht mehr pünktlich auszahlte, nachdem im Vorstand Unregelmäßigkeiten bei der Verwaltung der Geschäftsgelder vorgekommen waren.
Daraufhin kündigte der Verein das Arbeitsverhältnis wegen der Strafanzeige fristlos und hilfsweise fristgerecht. Kurz darauf wurde die inzwischen geständige Vorsitzende wegen Untreue zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten auf Bewährung verurteilt. Der gegen die Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklage gab das Gericht statt, nachdem es von der Verurteilung der Vorsitzenden erfahren hatte. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision machte der Verein geltend, dass die Vorsitzende trotz der Verurteilung unschuldig sei. Ihr Geständnis sei auf die im Strafverfahren bewirkte Zermürbung zurückzuführen. Außerdem hätte sich der Kläger vor einer Anzeigenerstattung um eine betriebsinterne Klärung der Vorwürfe bemühen müssen.
Dies sah das BAG anders. Die Erstattung der Strafanzeige durch den Kläger stellt weder einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung i. S. von § 626 Abs. 1 BGB dar noch ist eine verhaltensbedingte Kündigung i. S. von § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt, denn der Kläger hat nicht leichtfertig Strafanzeige gegen seinen Arbeitgeber erstattet, da erhebliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Vorfälle vorlagen. Es ist ihm auch nicht darauf angekommen, den Verein zu schädigen. Er hat vielmehr die Aufklärung von finanziellen Unregelmäßigkeiten bezweckt. Hieran hatte er ein berechtigtes Interesse, da diese Unregelmäßigkeiten bereits zu verspäteten Gehaltszahlungen geführt hatten. Er war auch nicht verpflichtet, vor Erstattung der Strafanzeige eine innerbetriebliche Klärung zu versuchen, da er die Erfolgsaussichten eines solchen Klärungsversuchs zu Recht als gering eingeschätzt hat, da die Vorsitzende die Vorwürfe sogar noch nach ihrem Geständnis im Strafverfahren und der Verurteilung bestritten hat.
Auf den Ausgang des Strafverfahrens kommt es nicht entscheidend an, da die Frage der Tatbegehung erst im Ermittlungsverfahren zweifelsfrei geklärt werden kann. Daher gilt umgekehrt, dass eine Strafanzeige ungerechtfertigt ist, wenn der Arbeitnehmer bereits im Zeitpunkt der Anzeigenerstattung weiß, dass der erhobene Vorwurf nicht zutrifft oder die Anzeigenerstattung unverhältnismäßig ist. Hier bekam deshalb der Arbeitnehmer Recht.
Link zur Entscheidung
BAG, Urteil v. 7.12.2006, 2 AZR 400/05. – Vgl. zur Strafanzeige als Kündigungsgrund auch Gruppe 19 S. 333 f.