Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame tarifliche Staffelung nach Alter bei Gewährung von Sonderurlaubstagen. Diskriminierung junger Piloten durch Altersstaffelung bei Gewährung von Sonderurlaub. Anspruch auf maximalen tariflichen Sonderurlaub bei gegen § 7 AGG verstoßende Altersstaffelung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Diskriminierung eines verhältnismäßig jungen Piloten durch eine tarifliche Regelung, die die Anzahl von jährlichen Sonderurlaubstagen vom Alter der Piloten abhängig macht.

 

Normenkette

BGB §§ 611a, 280; AGG §§ 1, 3, 5, 8, 10, 7

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 30.11.2020; Aktenzeichen 4 Ca 8237/19)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 30.11.2020 - 4 Ca 8237/19 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Sonderurlaubsansprüche und dabei insbesondere um die Frage, ob der Kläger durch den einschlägigen Tarifvertrag, der die Anzahl der Sonderurlaubstage vom Alter der Beschäftigten abhängig macht, diskriminiert wird und ob er deshalb einen Anspruch auf "Angleichung nach oben" hat.

Die Wirkung der streitigen tarifvertraglichen Regelung wurde von den Tarifparteien zumindest für das Jahr 2021 ausgesetzt. Im Streit stehen daher nur die nicht verjährten und nicht verfallenen Ansprüche aus den Jahren 2019 und 2020. Nach dem Verständnis des insofern rechtskräftigen Urteils des Arbeitsgerichts verfallen nämlich die Ansprüche auf Sonderurlaub, wenn der Sonderurlaub nicht im jeweils laufenden Jahr beantragt worden ist.

Der Kläger ist am 1966 geboren und seit dem 04.10.1996 bei der Beklagten als Flugzeugführer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet seit dem 01.01.2018 der für die Berufungsinstanz nur noch relevante Manteltarifvertrag Nr. 5 c für das Cockpitpersonal (MTV Nr. 5c) Anwendung. Dieser Manteltarifvertrag enthält Regelungen zu Sonderurlaubsansprüchen des Cockpitpersonals, deren Umfang jeweils nach dem Lebensalter gestaffelt ist. Für die Zeit ab dem 01.01.2019 gilt für den Sonderurlaub folgende Regelung der Protokollnotiz I des MTV Nr. 5c (Unterstreichungen nur hier):

"Cockpitmitarbeiter haben nach Vollendung des 40. Lebensjahres Anspruch auf Sonderurlaub. Die Tarifparteien halten eine altersbezogene Differenzierung hinsichtlich der Gewährung von Sonderurlaub nach der unterstehenden Tabelle vor dem Hintergrund der mit zunehmendem Alter einhergehenden oder empfundenen höheren Belastung im Zusammenhang mit der Arbeit als Cockpitmitarbeiter für angemessen und erforderlich, um dem legitimen Ziel, diesen Belastungen durch zusätzlichen Freizeitausgleich ausreichend Rechnung zu tragen, zu begegnen.

Der Anspruch auf Sonderurlaub für das jeweilige Lebensjahr richtet sich nach der nachfolgenden Tabelle und ist pro rata für das jeweilige Kalenderjahr zu beantragen und zu gewähren, wobei die Lage des Sonderurlaubs im Kalenderjahr unabhängig vom jeweiligen Geburtstag ist. Bei anteiligen Berechnungen des Kalenderjahresanspruchs wird der aus dem beginnenden Lebensjahr stammende erste Bruchteil auf ganze Tage aufgerundet. Der im folgenden Kalenderjahr zu gewährende zweite Bruchteil des gleichen Lebensjahres ergibt sich dementsprechend aus dem um den bereits im vorigen Kalenderjahr gewährten Bruchteil reduzierten Gesamt-Lebensjahresanspruch. Der Anspruch auf Sonderurlaub wird unter Fortzahlung der Vergütung gemäß § 5 Abs. (1) UAbs. 1 a), b), d) bzw. § 5 Abs. (1) UAbs 2 a), d), b) oder e) oder f) oder g) oder h) gewährt; § 5 Abs. (3) gilt entsprechend.

Der Anspruch auf freie Tage wird zeitanteilig verringert. Die Mitarbeiter haben keinen Anspruch auf Abgeltung oder auf Übertragung des für das Kalenderjahr errechneten Sonderurlaubs über das jeweilige Kalenderjahr hinaus.

Vollendetes

Lebensjahr

Sonderurlaubstage

64

35

63

35

62

35

61

35

60

35

59

35

58

28

57

28

56

21

55

21

54

8

53

8

52

8

51

8

50

7

49

6

48

5

47

5

46

4

45

4

44

3

43

3

42

2

41

2

40

1

Eine leistungs- und bezahlungswirksame Anrechnung von Flugstunden gemäß § 4, 3. Abschnitt Abs. (4) bzw. § 9 Buchstabe C. c) findet erst ab Vollendung des 55. Lebensjahres statt."

Dabei bedeutet "leistungs- und bezahlungswirksame Anrechnung", dass der Sonderurlaub so zu behandeln ist, als sei Arbeitsleistung erbracht worden. Auf diese Weise können (trotz Nichtarbeit während des Sonderurlaubs) Ansprüche auf Mehrarbeitsvergütung entstehen, wie sie der Kläger im vorliegenden Verfahren für das Jahr 2019 in rechnerisch unstreitiger Höhe geltend gemacht hat und die Gegenstand des Tenors zu 1 des mit der Berufung der Beklagten angegriffenen arbeitsgerichtlichen Urteils sind.

Im März 2019 erhielt der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt 52 Jahre alt war, 8 Tage Sonderurlaub; eine leistungs- und bezahlungswirksame Anrechnung von Flugstunden erfolgte nicht. Die Beklagte rechnete auf dieser Grundlage für den Monat März 2019 insgesamt 66,38 tatsächlich geleistete Flugstunden des Klägers ab. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 15.10.2019 m...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Personal Office Platin enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge