Entscheidungsstichwort (Thema)
Ansprüche eines schwerbehinderten Bewerbers wegen Benachteiligung bei einer Bewerbung
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein schwerbehinderter Bewerber muss bei einem öffentlichen Arbeitgeber die Chance eines Vorstellungsgesprächs bekommen, selbst wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich nicht ausgeschlossen ist. Wird ihm diese Möglichkeit genommen, liegt eine Benachteiligung vor, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung steht.
2. Nach der Beweislastregelung in § 22 AGG stellt sich bereits die unterlassene Einladung zu dem gem. § 82 S. 2 SGB IX vorgeschriebenen Vorstellungsgespräch als Indiz für einen Kausalzusammenhang zwischen der Schwerbehinderung und der Benachteiligung dar.
3. Für die Indizwirkung reicht es aus, dass sich der Arbeitgeber aufgrund der Bewerbungsunterlagen Kenntnis von der Schwerbehinderung hätte verschaffen können. Er hat die Erledigung seiner Personalangelegenheiten so zu organisieren, dass er seine gesetzlichen Pflichten zur Förderung schwerbehinderter Bewerber erfüllen kann. Dazu gehört, dass die für ihn handelnden Personen Bewerbungsschreiben vollständig lesen und zur Kenntnis nehmen.
4. Ein ordnungsgemäßer Hinweis auf eine Schwerbehinderung liegt vor, wenn die Mitteilung in einer Weise in dem Empfangsbereich des Arbeitgebers gelangt, die es ihm ermöglicht, die Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers zur Kenntnis zu nehmen. Dazu genügt auf jeden Fall die Vorlage des gerade zum Nachweis im Rechtsverkehr ausgestellten Schwerbehindertenausweises. Dass dieser nicht chronologisch in die Bewerbungsunterlagen einsortiert ist, ist dabei unschädlich.
Normenkette
AGG § 15 Abs. 2, § 22; SGB IX § 82 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 20.12.2011; Aktenzeichen 14 Ca 4955/11) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 20.12.2011- 14 Ca 4955/11 - wird zurückgewiesen.
- Auf die Anschlussberufung des Klägers wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger über den durch Urteil vom 20.12.2011 - 14 Ca 4955/11 - zuerkannten Betrag in Höhe von EUR 1.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.04.2011 hinaus weitere EUR 4.378,58 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.04.2011 zu zahlen.
- Im Übrigen wird die Anschlussberufung zurückgewiesen.
- Die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zu 1/2.
- Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch, den der Kläger geltend macht, weil er sich wegen einer Behinderung bei einer Bewerbung benachteiligt sieht.
Der Kläger, geboren am 1959, Diplom-Kaufmann nach vorheriger Banklehre, ist mit einem Grad von 50 schwerbehindert. Er nahm an verschiedenen Fortbildungsmaßnahmen im Bereich Controlling und Rechnungswesen teil.
Der Kläger bewarb sich am 26. Juli 2010 per Email bei der Beklagten auf eine von dieser ausgeschriebenen, auf drei Jahre befristeten Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Staatswissenschaftlichen Seminar. Die Bewerbung umfasste ein Bewerbungsanschreiben, einen tabellarischen Lebenslauf, ein Bewerbungsfoto sowie Anlagen im Umfang von 29 Seiten, denen kein Inhaltsverzeichnis vorangestellt war. Die Anlagen waren chronologisch geordnet, beginnend mit einem Zeugnis des Vereins F Aus- und Weiterbildung e. V. aus dem Jahr 2009 und endend mit dem Abiturzeugnis aus dem Jahr 1978. Auf Seite 24 der Anlagen, zwischen einer Bescheinigung über die erfolgreiche Teilnahme an einem Dale Carnegie Kursus für Kommunikation und Menschenführung vom 18. Dezember 1985 und einem Zertifikat der S AG über die Teilnahme an der Veranstaltung Vertriebstraining Grundlagen vom 30. Juli 1985, befand sich die Kopie der Vorderseite seines Schwerbehindertenausweises aus dem Jahr 2008.
Unter dem 26. Juli 2010 erhielt der Kläger eine Bestätigung über den Eingang seiner Bewerbung.
Am 14. Dezember 2010 erkundigte sich der Kläger per Email nach dem Sachstand seiner Bewerbung. Am 24. Januar 2011 teilte ihm die Beklagte auf telefonische Nachfrage mit, das Auswahlverfahren sei beendet und bereits in der ersten oder zweiten Augustwoche 2010 seien die schriftlichen Absagen versandt worden.
Mit vorab per Telefax übermittelten Schreiben vom 24. März 2011 (Bl. 11 ff. d. A.) machte der Kläger einen Entschädigungs- und Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten wegen Diskriminierung aufgrund seiner Schwerbehinderung geltend.
Mit der am 24. Juni 2011 beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen Klage verfolgt der Kläger den Entschädigungsanspruch weiter.
Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte habe ihn aufgrund seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Sie sei ihrer Verpflichtung aus § 82 S. 2 SGB IX, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, nicht nachgekommen. Die Beklagte habe von seiner Schwerbehinderung Kenntnis erlangen können, wenn si...