Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiterbeschäftigung. Betriebsrat. Widerspruch
Leitsatz (amtlich)
Die sachliche Begründetheit des hinreichend konkret formulierten Widerspruchs des Betriebsrats ist keine Anspruchsvoraussetzung für den Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Köln (Urteil vom 14.07.2005; Aktenzeichen 8 Ga 127/05) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 14.07.2005 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln – 8 Ga 127/05 – abgeändert:
- Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses als Mitarbeiter der Buchhaltung nach näherer Maßgabe des Arbeitsvertrags weiter zu beschäftigen.
- Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- Der Streitwert beträgt unverändert 4.650,00 EUR.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über einen Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers nach § 102 Abs. 5 BetrVG.
Mit Schreiben vom 28.04.2005 (Kopie Bl. 12 d. A.) kündigte die Beklagte das seit dem 24.06.1999 bestehende Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30.06.2005 aus dringenden betrieblichen Gründen. Der Betriebsrat hatte dieser Kündigung unter dem 20.04.2005 unter Hinweis auf § 102 Abs. 3 Nr. 1, 3, 4, 5 BetrVG widersprochen und seine Gründe hierfür ausführlich schriftlich dargelegt (Kopie Bl. 85 ff. d. A.). Von einer weitergehenden Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
Der Kündigungsschutzprozess ist unter dem Aktenzeichen 8 Ca 4681/05 beim Arbeitsgericht anhängig.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Urteil vom 14.07.2005 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, ein Verfügungsanspruch auf Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG sei nicht gegeben, weil der Widerspruch des Betriebsrats keine hinreichende Begründung insbesondere zur Auswahlrüge nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG enthalte. Auch auf den sogenannten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens könne sich der Kläger nicht berufen, weil eine die Unwirksamkeit der Kündigung feststellende Entscheidung noch nicht ergangen sei.
Mit seiner Berufung gegen das am 04.08.2005 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts, die am 19.08.2005 eingelegt und am 12.09.2005 begründet worden ist, verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Er ist der Ansicht, dass der Betriebsrat eine einzelfallbezogene Begründung seines Widerspruchs unter ausdrücklicher Benennung vergleichbarer Mitarbeiter in dem erforderlichen Maß vorgenommen habe, um den Beschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG auszulösen.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 14.07.2005 – 8 Ga 127/05 – die Beklagte zu verurteilen, ihn über den 30.06.2005 hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Mitarbeiter der Buchhaltung weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil aus Sach- und Rechtsgründen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes haben die Parteien auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 u. 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist.
II. Das Rechtsmittel hat auch mit der tenorierten Maßgabe Erfolg.
Der Kläger kann gemäß § 102 Abs. 5 S. 1 i. V. m. Abs. 3 Nr. 1 BetrVG seine Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses verlangen. Denn der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat hat der Kündigung vom 28.04.2005 frist- und ordnungsgemäß widersprochen. Zudem hat der Kläger rechtzeitig Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist.
Das Berufungsgericht vermag der Auffassung der Beklagten und ihr folgend des Arbeitsgerichts, es liege keine „qualifizierte Auswahlrüge” im Sinne des § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG vor, nicht zuzustimmen. Es ist zwar anerkannt, dass der Betriebsrat zur Begründung des Widerspruchs konkrete Tatsachen angeben muss und die bloße Wiederholung des Gesetzestextes nicht ausreicht (vgl. LAG Düsseldorf vom 23.05.1975 – EZA § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 4). Die Widerspruchsgründe brauchen aber nicht schlüssig zu sein, wenn nur ein Mindestmaß an konkreter Argumentation im Gegensatz zu reiner Spekulation vorhanden ist (vgl. BAG vom 17.06.1999 AP Nr. 102 BetrVG 1972 Weiterbeschäftigung Nr. 13). Der vorgetragene Sachverhalt muss es als möglich erscheinen lassen, dass einer der in § 102 Abs. 3 BetrVG abschließend aufgezählten Widerspruchsgründe vorliegt (vgl. Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl...