Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame außerordentliche Kündigung wegen einer Beschwerde über den Arbeitgeber. Beschwerde. Meinungsfreiheit. Beleidigung. Verleumdung. wichtiger Grund. Interessenabwägung. Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen pointierter Ausführungen in einer Beschwerdeschrift

 

Leitsatz (amtlich)

1. In einer zugespitzten innerbetrieblichen Situation ist es dem Arbeitnehmer erlaubt, für den eigenen Sachstandpunkt auch mit scharfer Polemik zu werben, soweit dabei nicht andere Personen beleidigt oder in vergleichbar schwerer Weise unsachlich angegriffen werden.

2. Selbst dann, wenn in einer zugespitzten innerbetrieblichen Situation eine schriftliche Beschwerde des Arbeitnehmers wegen der darin enthaltenen persönlich herabsetzenden Angriffe gegen den Arbeitgeber als pflichtwidrig eingestuft wird, muss bei der Gesamtbewertung des Ausmaßes des Fehlverhaltens des Arbeitnehmers zu seinen Gunsten die entstandene innerbetriebliche Spannung berücksichtigt werden. Denn wenn beide - Arbeitgeber und Arbeitnehmer - zu dem Aufbau der Spannungen beigetragen haben, hat ein in diesem Rahmen feststellbares Fehlverhalten des Arbeitnehmers ein geringeres Gewicht, als wenn er sich ohne jede Veranlassung in pflichtwidriger Weise in einer Beschwerde abfällig über seinen Arbeitgeber äußert.

 

Normenkette

GG Art. 5; BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Stralsund (Entscheidung vom 03.05.2011; Aktenzeichen 2 Ca 24/10)

 

Tenor

1. Die Berufung wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten inzwischen noch um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die hilfsweise auch als ordentliche Kündigung ausgesprochen wurde.

Der beklagte eingetragene Verein ist ein regionaler Verband der freien Wohlfahrtspflege, der in Mecklenburg-Vorpommern unter anderem Einrichtungen der Jugendhilfe betreibt. In dem von dem Beklagten in A-Stadt betriebenen Jugenddorfhaus nimmt er Kinder und Jugendliche, die nicht bei ihren Ursprungsfamilien leben können, auf und versucht, diesen eine lebensorientierte familientypische Wohn- und Betreuungsform im familienähnlichen Zusammenleben zu ermöglichen. Der Beklagte gehört dem namensähnlichen Bundesverband ebenso wie die anderen regionalen Verbände in Deutschland an. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass beim Beklagten regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind.

Die Klägerin ist bei dem beklagten Verein seit Oktober 2006 als Hausmutter und Leiterin im Kinderdorfhaus A-Stadt zu einer monatlichen Grundvergütung in Höhe von rund 2.200,00 Euro brutto beschäftigt. Das Jugenddorfhaus in A-Stadt ist 2006 neu eröffnet worden, die Klägerin war die erste dort tätige Hausmutter und Leiterin. Entsprechend ihrer beruflichen Stellung hat die Klägerin in dem Kinderdorfhaus zusammen mit ihrem Ehemann auch gewohnt. Die vereinbarte Mietzinszahlung wurde monatlich gleich vom Entgelt der Klägerin in Abzug gebracht.

Im Arbeitsverhältnis der Parteien haben sich über einen längeren Zeitraum hinweg immer mehr Spannungen aufgebaut. Die Klägerin und ihr Ehemann sind enttäuscht darüber, dass ihnen im Kinderdorfhaus keine eigene abgeschlossene Wohnung im Dachgeschoss zur Verfügung steht, so wie dies angeblich bei Aufnahme der Zusammenarbeit vorgesehen war. Möglicherweise aus dieser Enttäuschung heraus hat der Ehemann der Klägerin damit begonnen, den bisher nicht oder jedenfalls nicht systematisch genutzten Dachboden des Kinderdorfhauses zur Einlagerung von Gegenständen aus dem Besitzstand des Ehepaares zu verwenden. Der beklagte Verein hat die Nutzung dieser Räumlichkeiten für rechtswidrig gehalten und ist deshalb gegen den Ehemann der Klägerin erfolgreich gerichtlich vor dem Amtsgericht A-Stadt vorgegangen.

Gleichzeitig fühlt sich die Klägerin in den Angelegenheiten des Hauses und der dort wohnenden Kinder und Jugendlichen im Stich gelassen. Aus ihrer Sicht war das Haus personell unterbesetzt und der Arbeitgeber hat bei krankheitsbedingten Ausfällen nicht mit der Stellung von Ersatzpersonal ausgeholfen. Nach der klägerischen Einlassung kam es deshalb gegen Ende des Jahres 2009 sogar zu negativen Rückmeldungen und kritischen Nachfragen der Schulen und sonstigen Träger, bei denen die Kinder und Jugendlichen tagsüber untergebracht sind. Gleichzeitig ist die Kontrolle und Anleitung der Klägerin durch den Beklagten in jener Zeit sehr viel engmaschiger geworden; der Beklagte hatte wohl den Eindruck, dass die Leistung und Führung der Klägerin ohne diese engmaschige Kontrolle zu wünschen übrig lassen würde. Ein Ergebnis dieser engeren Führung der Klägerin ist der Umstand, dass der Beklagte ihr unter dem Datum des 10. Dezember 2009 drei Abmahnungen und unter dem Datum des 8. Januar 2010 eine weitere Abmahnung ausgesprochen hat.

In dieser allseits als spannungsgeladen empfundenen Situation hat sich die Klägerin mit Schreiben vom 17. Januar 2010 mit einer Beschwerde über die Zustände in ihrem Haus und die Behandlung ihrer Person und ihres Ehemanns ...

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