Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen des Vorwurfs einer unzulässigen Konkurrenztätigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Zwar stellt die Weitergabe persönlicher Daten von Patienten an einen anderen Pflegedienst eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten dar.
2. Handelt es sich diesbezüglich allerdings nur um einen Verdacht, ist es vor Ausspruch einer Verdachtskündigung grundsätzlich erforderlich, den Arbeitnehmer anzuhören, d. h. ihn in einlassungsfähiger Weise mit den ihm vorgeworfenen Verhaltensweisen zu konfrontieren und ihm ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
3. Die Aufrechnung mit einer Nettoschadensersatzforderung gegen eine Bruttolohnforderung ist mangels Gleichartigkeit nicht zulässig, da vom Bruttolohn vorab Steuern und Sozialabgaben abzuführen sind.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 11.05.2023; Aktenzeichen 1 Ca 1270/22) |
Tenor
1) Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 11.05.2023 - 1 Ca 1270/22 - abgeändert:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 14.10.2022 nicht aufgelöst worden ist und zu unveränderten Bedingungen bis zum 15.11.2022 fortbestanden hat.
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zur Abgeltung von Überstunden und Urlaub € 2.580,19 brutto zu zahlen.
2) Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervention hat die Beklagte zu tragen.
3) Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die auf den Vorwurf einer unzulässigen Konkurrenztätigkeit gestützt ist, sowie über daran anknüpfende, zur Aufrechnung gestellte Schadensersatzansprüche.
Die Beklagte betreibt einen Pflegedienst, der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch V und dem Sozialgesetzbuch XI anbietet, insbesondere eine 24-Stunden-Intensivpflege, Betreuung von Wohngemeinschaften und Betreutes Wohnen, Tagespflege, Urlaubs- und Verhinderungspflege etc. Die im Januar 1962 geborene, verheiratete Klägerin nahm bei ihr am 01.05.2021 eine Beschäftigung als Pflegehelferin/Masseurin mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 154 Stunden je Monat auf. Das durchschnittliche Monatsgehalt betrug unter Berücksichtigung von Zuschlägen zuletzt € 2.632,29 brutto.
Im Arbeitsvertrag vom 19.03.2021 heißt es unter anderem:
"...
§ 12 Wettbewerbs- und Abwerbungsverbot
...
(3) Der Arbeitnehmer verpflichtet sich ausdrücklich, es zu unterlassen, Patienten des Arbeitgebers aktiv zugunsten von Dritten abzuwerben, zur Aufkündigung bzw. Beendigung bestehender Pflege- und Betreuungsverträge anzuhalten, zu ermuntern oder an Mitbewerber des Arbeitgebers weiter zu vermitteln.
(4) Bei Verstoß gegen die Verpflichtung gemäß vorstehenden Absatz 3 ist der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auf Ersatz des diesem aus der Abwerbung bzw. Beendigung der bestehenden Pflege- und Betreuungsverträge entstehenden Schadens verpflichtet.
...
§ 14 Geheimhaltung/Datenschutz
(1) Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, über alle ihm im Rahmen seiner Dienstdurchführung bekannt gewordenen vertraulichen Angelegenheiten (Patientendaten, Dokumentationen, Vertragsunterlagen, ärztliche Anweisungen usw.) sowie Vorgänge, die ihm in Ausübung oder bei Gelegenheit seiner Tätigkeit anvertraut und bekannt werden bzw. geworden sind, sowohl während der Laufzeit dieses Vertrages als auch danach striktes Stillschweigen gegenüber Dritten zu bewahren.
(2) Berichte und Angaben über innerbetriebliche Vorgänge, Patienten oder deren Angehörige dürfen ohne vorherige Zustimmung der Geschäftsführung oder der Pflegedienstleitung nicht an Dritte weitergegeben werden.
Die Verpflichtung auf Datengeheimnis und Verschwiegenheit ist Teil des Arbeitsvertrages.
..."
Eingesetzt war die Klägerin in einem Pflegeheim in H-Stadt, in dem neun zum Teil an Demenz leidende Bewohner rund um die Uhr betreut wurden. Einer der Bewohner war der pflegebedürftige Vater der Klägerin, Herr M. S. Er hatte der Klägerin eine umfassende Vollmacht zur Regelung seiner Angelegenheiten erteilt. Der Eigentümer des Gebäudes hatte seine Mutter, Ch. B., dort ebenfalls untergebracht. Die Beklagte setzte in dem Pflegeheim regelmäßig 13 Beschäftigte ein, von denen eine Mitarbeiterin langzeiterkrankt war und Krankengeld bezog. Als Pflegedienstleiterin war Frau R. für das Haus zuständig.
Die auf Seiten der Klägerin beigetretene Nebenintervenientin betreibt ebenfalls einen Pflegedienst. Bei ihr ist eine Enkelin der Heimbewohnerin I. D. beschäftigt.
Ab dem 19.08.2022 war die Klägerin krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Trotz der Krankheit besuchte sie in der Regel täglich ihren Vater im Pflegeheim.
Am 07.09.2022 führte die Geschäftsführerin der Beklagten eine Informationsveranstaltung in dem Pflegeheim durch, bei der es insbesondere um die beabsichtigte Erhöhung der Eigenanteile zu den Pflegeleistungen ging. An der Veranstaltung nahmen eine Bewohnerin des Hei...