Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Beurteilungsgrundsätzen
Leitsatz (amtlich)
1. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 94 Abs. 2 letzter Halbs. BetrVG bei der Aufstellung von Beurteilungsgrundsätzen setzt nicht notwendig voraus, dass die vom Arbeitgeber angewandten allgemeinen Grundsätze schriftlich verkörpert sind. Es genügt, wenn der Arbeitgeber auf der Grundlage von formularmäßig erhobenen Leistungsdaten regelmäßig gegenüber Arbeitnehmern Rügen oder Belobigungen ausspricht, ohne die Kriterien dafür betrieblich offenzulegen.
2. Bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen § 94 Abs. 2 BetrVG steht dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch zu. Dieser betrifft bereits das Erheben der Leistungdaten durch den Arbeitgeber.
Normenkette
BetrVG § 94 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Beschluss vom 15.09.2006; Aktenzeichen 13 BV 13/04) |
Tenor
Auf die Anschlussbeschwerde des Beteiligten zu 1) wird unter teilweiser Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Hannover vom 15.09.2006 – 13 BV 13/04 – der Beteiligten zu 2) untersagt, ohne Zustimmung des Betriebsrates bzw. Ersetzung der Zustimmung durch Entscheidung der Einigungsstelle von Beschäftigten im Verkauf zu verlangen, dass diese ihre täglichen Umsätze, gegliedert nach
- Kaufvertragsnummer
- Artikelbezeichnung
- Werbung
- Einzelpreise
- Lieferantennummer
- Anzahlung und Finanzierung
dem Hausleiter zu melden und die schriftlichen Umsatzmeldungen auszuhändigen haben.
Die weitergehende Anschlussbeschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darum, ob die Arbeitgeberin berechtigt ist, von den bei ihr beschäftigten Verkäuferinnen und Verkäufern eine arbeitstägliche Dokumentation der getätigten Umsätze zu verlangen und diese zur Grundlage individualrechtlicher Maßnahmen gegenüber den Arbeitnehmern zu machen.
Die Beteiligte zu 2) betreibt in A-Stadt einen großen Möbeleinzelhandel. Im Verkauf werden etwa 100 Arbeitnehmer beschäftigt, die Vergütung nach einem Provisionssystem erhalten, das durch Betriebsvereinbarung geregelt ist.
Eine Betriebsvereinbarung vom 05.08.1998 (Bl. 33 – 35 d.A.) regelt Datenverarbeitung und Datenschutz an Bildschirmarbeitsplätzen einschließlich der Kassen. In Ziff. 3 dieser Betriebsvereinbarung ist detailliert geregelt, welche statistischen Daten bezüglich der Verkäufer die Geschäftsleitung nutzen und auswerten darf (sog. Verkäuferstatistiken vgl. Bl. 264 – 269 d.A.). In Ziff. 3.1 heißt es dort, dass aus den computergestützt gewonnenen statistischen Angaben keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen zum Nachteil des Verkäufers/der Verkäuferin gezogen werden dürfen. Die Betriebsvereinbarung ist vom Arbeitgeber unter dem 24.10.2005 gekündigt worden (Bl. 131 d.A.); eine Neuregelung ist bisher nicht erfolgt.
Neben den EDV-technisch gewonnenen Daten wurden in der Vergangenheit abteilungsbezogen in Formularen die kumulierten Umsätze jedes Verkäufers handschriftlich erfasst, ferner dazu Angaben bezüglich Kundenansprache, Beratungen, Abschlüsse usw. gemäß „… Umsatzoptimierungsprogramm” (Bl. 5 u. 6 d.A.). Bei der Erstellung der entsprechenden Formulare war der Betriebsrat nicht beteiligt worden. Ab August 2004 wies die Beteiligte zu 2) einzelne Arbeitnehmer schriftlich an, ihre täglichen Umsätze in einem neu vorgegebenen Formular – vom Arbeitgeber als Umsatzmatrix bezeichnet – einzutragen und jeden Abend der Hausleitung auszuhändigen. Als Rubriken waren darin vorgesehen Kaufvertragsnummer, Artikelbezeichnung, Werbung, Einzelpreise, Lieferantennummer, Anzahlung, Finanzierung (Bl. 7 – 8 d.A.). Zur Zeit der Einleitung des vorliegenden Verfahrens im September 2004 erging diese Weisung an etwa 8 Verkäufer, inzwischen ist die Zahl auf rund 30 angestiegen. Die praktische Handhabung hat sich dergestalt geändert, dass die Aufstellungen zwar weiter für jeden Tag erstellt, aber nur noch einmal monatlich abgeliefert werden müssen (Schreiben der Bet. zu 2. vom 21.6.05 – Bl. 83 d.A.).
Zumindest seit dem Jahr 2002 hat die Arbeitgeberin in persönlichen Anschreiben einzelne Mitarbeiter sowohl wegen guter Leistungen belobigt als auch wegen schlechter Leistungen kritisiert (vom Betriebsrat als „Lobesbriefe” und „Drohbriefe” bezeichnet, vgl. Bl. 36 – 40 d.A.). Daneben führt der Hausleiter persönliche Gespräche mit den Mitarbeitern über deren Umsatzdaten. Seit dem Jahr 2004 hat die Arbeitgeberin an mehrere Mitarbeiter Abmahnungen wegen zu geringer Leistungen erteilt (vgl. Herr P. Bl. 69 – 71, Frau K. Bl. 73 – 74, Herr K. Bl. 127 – 128 d.A.), die zum Teil aufgrund arbeitsgerichtlicher Entscheidungen wieder entfernt werden mussten.
Der antragstellende Betriebsrat nimmt ein Mitbestimmungsrecht unter mehreren rechtlichen Gesichtspunkten in Anspruch. Zum einen handele es sich bei der Anordnung um eine Regelung der betrieblichen Ordnung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Ferner ergebe sich aus dem Zusammenhang zwischen der Erfassung bestimmter Verka...