Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltung. Verfall und Verjährung von Urlaubsansprüchen bei langandauernder Erkrankung
Leitsatz (amtlich)
Im bestehenden Arbeitsverhältnis verfällt der Urlaubsanspruch, der wegen andauernder Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitnehmer nicht realisiert werden konnte, mangels Erfüllbarkeit nicht.
Mangels Fälligkeit beginnt in diesen Fällen auch nicht der Lauf der Verjährungsfrist mit dem Schluss des jeweiligen Kalenderjahres.
Normenkette
BGB §§ 195, § 199 ff.; BUrlG § 7 Abs. 3, § 26; TVöD § 37 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Lingen (Urteil vom 09.02.2011; Aktenzeichen 2 Ca 479/10) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 09.02.2011 – 2 Ca 479/10 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubes und des Zusatzurlaubes nach § 125 Abs. 2 SGB IX aus dem Jahr 2006.
Der am 00.00.1965 geborene Kläger war vom 01.08.1982 – 31.12.2009 bei der Beklagten im Wasser- und Schifffahrtsamt in C-Stadt beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis richtete sich u. a. nach den Tarifverträgen für den öffentlichen Dienst (Bund). Vom 20.02.2006 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Seit dem 20.03.2006 ist er als Schwerbehinderter anerkannt im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX.
Mit Schreiben vom 07.04.2009 hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31.10.2009 aus personenbedingten Gründen gekündigt. Auf die daraufhin vom Kläger eingereichte Kündigungsschutzklage stellte das Arbeitsgericht Lingen mit Urteil vom 27.04.2009 (2 Ca 287/09) fest, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 07.04.2009 zwar nicht zum 31.10.2009, aber mit Ablauf des 31.12.2009 sein Ende gefunden hat. Die hiergegen vom Kläger eingelegte Berufung wies das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (16 Sa 1463/09) mit Urteil vom 05.02.2010 zurück.
Mit Schreiben vom 23.03.2010 (vgl. Bl. 5 und 6 d. A.) machte der Kläger gegenüber der Beklagten u. a. die Abgeltung der Resturlaubsansprüche für das Kalenderjahr 2006 geltend. Mit Schreiben vom 28.05.2010 berief sich die Beklagte u. a. gegenüber den Urlaubsansprüchen für das Jahr 2006 auf die Verjährung.
Mit seiner am 14.09.2010 beim Arbeitsgericht Lingen eingereichten Klage nimmt der Kläger die Beklagte u. a. auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs von 20 Urlaubstagen zzgl. des zeitanteiligen Zusatzurlaubes gemäß § 125 SGB IX in Höhe von 4 Urlaubstagen in Höhe von insgesamt 2.064,75 EUR brutto in Anspruch.
Mit Urteil vom 09.02.2010 hat das Arbeitsgericht Lingen die Beklagte u. a. dazu verpflichtet, an den Kläger als Abgeltung für den im Jahre 2006 infolge der Erkrankung nicht genommenen gesetzlichen Mindesturlaub einschließlich des anteiligen Zusatzurlaubes 2.064,75 EUR brutto nebst Zinsen zu zahlen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch erst mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses als reiner Geldanspruch entstehe und der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2006 während der dauerhaften krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Klägers im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht der Verjährung unterlegen habe.
Gegen dieses ihr am 18.02.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 15.03.2011 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung unter dem 03.05.2011 begründet.
Sie ist weiterhin der Auffassung, dass dem Kläger für das Jahr 2006 kein Abgeltungsanspruch zustehe. Dieser sei verjährt. Anknüpfungspunkt für den Lauf von Ausschluss- und Verjährungsfristen sei das Ende des jeweiligen Urlaubsjahres. Maßgebliche Vorschrift sei zudem Art. 9 des Übereinkommens 132 über den bezahlten Jahresurlaub 1970 der internationalen Arbeitsorganisation. Der Arbeitnehmer, der im Urlaubsjahr den Jahresurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen könne, habe den Abgeltungsanspruch innerhalb der Ausschluss- und Verjährungsfristen gerechnet ab dem Ende des Urlaubsjahres geltend zu machen. Andernfalls würde es „ewige” Urlaubsabgeltungsansprüche geben und die Arbeitgeber wären mit einem Bruttogehalt pro Arbeitsunfähigkeitsjahr aufbauenden Urlaubsabgeltungsrückständen von dauerhaft erkrankten oder erwerbsgeminderten Arbeitsverhältnissen konfrontiert und letztendlich zu deren Kündigung gezwungen. Dieses Ergebnis sei sozialpolitisch unerwünscht. Deshalb räume der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 20.01.2009 den Mitgliedsstaaten ein, durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten die Modalitäten des Anspruches auf bezahlten Jahresurlaub zu regeln und auch den Verlust dieses Anspruches vorzusehen, sofern der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit habe, den ihm mit der Richtlinie 2003/88 verliehenen Anspruc...