Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwingende Geltung des § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG zur Kürzung des gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaubs im Falle der Elternzeit. Zeitpunkt der Kürzungserklärung des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG. Entstehung des Urlaubsanspruchs auch während der Elternzeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Tarifnorm des § 26 Abs. 2c TVöD enthält oder ersetzt nicht die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG erforderliche Erklärung des Arbeitgebers, den Erholungsurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel zu kürzen. Dem stehen die auch durch Tarifvertrag nicht abdingbaren Regelungen gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG entgegen.
2. Auch soweit der Urlaubsanspruch den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt, enthält oder ersetzt § 26 Abs. 2c TVöD nicht die Kürzungserklärung des Arbeitgebers gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG.
3. Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitgeber sein Kürzungsrecht vor, während und nach dem Ende der Elternzeit ausüben, nicht jedoch vor der Erklärung des Arbeitnehmers, Elternzeit in Anspruch zu nehmen.
Leitsatz (redaktionell)
Im Unterschied zu anderen Ruhenstatbeständen, die von vornherein zur Folge haben, dass Urlaubsansprüche nicht entstehen (z.B. zum unbezahlten Sonderurlaub nach § 28 TV-L), behält der Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch auch für die Elternzeit bis zu einer wirksamen Kürzungserklärung des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG. Denn entstünde für die Elternzeit kein Urlaubsanspruch, so bedürfte es der dort geregelten Kürzungserklärung des Arbeitgebers nicht, um diesen Anspruch zum Erlöschen zu bringen.
Normenkette
BEEG § 17 Abs. 1 S. 1, Abs. 3; BUrlG §§ 1, 13 Abs. 1, § 3; TVöD § 26 Abs. 2; BEEG § 16 Abs. 1 S. 1; TV-L § 28
Verfahrensgang
ArbG Emden (Entscheidung vom 09.09.2021; Aktenzeichen 2 Ca 6/21) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts D-Stadt vom 9. September 2021 - 2 Ca 6/21 - abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 13.471,20 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Juni 2020 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Zahlung von Urlaubsabgeltung. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien nebst Anträgen sowie der Würdigung, die jenes Vorbringen dort erfahren hat, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts D-Stadt vom 9. September 2021 (Bl. 30 bis 36 d.A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Urlaubsansprüche der Klägerin für die Jahre 2017 bis 2019 seien auf Null gekürzt worden. Die arbeitsvertraglich in Bezug genommene Norm des § 26 Abs. 2c TVöD sei dahin auszulegen, dass er die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG für die Ausübung der Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers erforderliche Willenserklärung bereits enthalte. Nach ihrem Wortlaut verringere sich der Urlaubsanspruch für jeden Monat eines ruhenden Arbeitsverhältnisses automatisch, so dass es dafür einer weiteren Erklärung des Arbeitgebers nicht bedürfe. Der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, wonach der Arbeitgeber das Kürzungsrecht des § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG nicht vor der Erklärung des Arbeitnehmers, Elternzeit in Anspruch zu nehmen, ausüben könne, sei nicht zu folgen. Wer einseitig erkläre, dass sich für den Fall einer zukünftigen Elternzeit der Anspruch auf Erholungsurlaub kürzen solle, gebe damit eine in sich sinnvolle Erklärung ab. Die Ausübung eines Gestaltungsrechtes unter einer die Wirkung verschiebenden Potestativbedingung sei zulässig, wie etwa die Rechtsprechung zum arbeitsvertraglichen Verzicht auf die Rechte aus § 616 BGB oder zur Befristung eines Arbeitsverhältnisses auf das Erreichen des Renteneintrittsalters zeige. Auch Gestaltungsrechte könnten unter einer Bedingung vorgenommen werden, sofern - wie vorliegend - der Bedingungseintritt ausschließlich vom Verhalten des Erklärungsempfängers abhänge. Hierfür spreche auch der Grundsatz der Privatautonomie. Zu berücksichtigen sei schließlich, dass die Kürzung vorliegend auf einer arbeitsvertraglichen Regelung und nicht lediglich auf einer einseitigen Erklärung beruhe.
Gegen das ihr am 5. Oktober 2021 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin am 26. Oktober 2021 Berufung eingelegt und sie innerhalb der verlängerten Frist am 7. Dezember 2021 begründet.
Die Berufung führt aus: Das Kürzungsrecht nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG könne nur im laufenden Arbeitsverhältnis durch Erklärung des Arbeitgebers ausgeübt werden. Die Vorschrift sei nicht tarifdispositiv. Folgte man der Gegenauffassung, nähme man der Abgeltungsregelung des § 17 Abs. 3 BEEG den Anwendungsbereich. Die Norm des § 17 BEEG schränke die Vertragsfreiheit aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes in verfassungskonformer Weise ein.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung (sic) des Urteils des Arbeitsgerichts die Beklagte zu verurteilen, ihr 13.471,20 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe...