Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnungsfreie ordentlichen Kündigung in Kleinbetrieb. Unbegründete Kündigungsschutzklage einer Bürokauffrau bei unzureichenden Darlegungen zur Benachteiligung wegen Schwerbehinderung und widersprüchlichem Verhalten der Arbeitgeberin
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sind ungeachtet der Regelung in § 2 Abs. 4 AGG auch außerhalb des Geltungsbereiches des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes im Kündigungsschutzrechtsstreit zu berücksichtigen; verstößt die Kündigung gegen Bestimmungen des AGG, ist sie nach § 134 BGB nichtig.
2. Eine Benachteiligung wird vermutet, wenn die Arbeitnehmerin Tatsachen darlegt, die eine solche indizieren (§ 22 AGG).
3. Teilt ein Vorgesetzter der als Bürokauffrau beschäftigten Arbeitnehmerin kurz vor Ende der Probezeit mit, dass er mit ihrer Arbeit zufrieden ist, und ist auch in späteren Personalgesprächen ihre Arbeitsleistung nicht bemängelt worden, handelt die Arbeitgeberin nicht widersprüchlich, wenn sie das Arbeitsverhältnis nach einem Jahr wegen Schlechtleistung kündigt; abgesehen von der inzwischen verstrichenen Zeit ergibt sich aus dem "Schweigen" der Arbeitgeberin im weiteren Verlauf des Arbeitsverhältnisses kein Erklärungswert, aus dem eine verständige Arbeitnehmerin das Vertrauen ableiten kann, dass die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis nicht wegen Schlechtleistung kündigen wird.
4. Eine Treuwidrigkeit ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass die Arbeitnehmerin von der Arbeitgeberin vor der Kündigung nicht wegen Schlechtleistung abgemahnt worden ist, da die Arbeitgeberin hierzu vor Ausspruch einer Kündigung außerhalb des Anwendungsbereiches der Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes nicht verpflichtet ist.
Normenkette
BGB §§ 242, 134, 620 Abs. 2; AGG §§ 1, 2 Abs. 4, §§ 3, 7, 22; KSchG § 2 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Halle (Saale) (Entscheidung vom 08.10.2013; Aktenzeichen 6 Ca 821/12) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 08.10.2013 - 6 Ca 821/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund arbeitgerberseitiger Kündigung.
Die Klägerin war seit 11.10.2010 bei der Beklagten als Bürokauffrau nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom selben Tage (Bl. 16, 17 d. A.) tätig, jedoch seit 08.12.2011 bis zum Ablauf der Kündigungsfrist durchgängig arbeitsunfähig erkrankt.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis, nachdem zuvor - die Klägerin ist zu 60 Prozent schwerbehindert - das Integrationsamt mit Bescheid vom 29.02.2012 (Bl. 42 ff d. A.) die erforderliche Zustimmung erteilt hatte, mit Schreiben vom selben Tage (Bl. 18 d. A.) das Arbeitsverhältnis der Parteien fristgemäß zum 31.03.2012.
Bei der Beklagten werden nicht mehr als 10 Arbeitnehmer i. S. d. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt.
Nach Auffassung der Klägerin sei die streitbefangene Kündigung rechtsunwirksam. Die Beklagte verstoße damit gegen die §§ 138, 242 BGB; 1, 3, 7 AGG und 84 SGB IX.
Die Klägerin hat hierzu behauptet, die von der Beklagten gegenüber dem Integrationsamt als Kündigungsgrund angegebenen Schlechtleistungen haben nicht vorgelegen bzw. seien ihr nicht zurechenbar. Sofern bei ihrer Arbeitsleistung Fehler - unberechtigte Mahnschreiben - aufgetreten seien, beruhen diese auf unzureichender Zuarbeit anderer Mitarbeiter der Beklagten bzw. mit dieser verbundenen, im selben Bürogebäude ansässigen Schwestergesellschaften, insbesondere des Geschäftsführers der RWM und BWA Herrn F. Während des Verlaufs des Arbeitsverhältnisses habe die Beklagte derartige Pflichtverletzungen auch zu keinem Zeitpunkt ihr gegenüber aufgezeigt oder - unstreitig - gar durch Abmahnung sanktioniert.
Weiter sei das Arbeitsverhältnis durch Mobbinghandlungen belastet worden. Insbesondere habe die bei einer Schwestergesellschaft tätige Mitarbeiterin Frau B sich in Bezug auf den Gesundheitszustand der Klägerin abfällig geäußert. Darüber hinaus sei sie durch den Geschäftsführer der RWM, Herrn L, gemobbt worden. Seitens der Beklagten sei ihr, obwohl ihr gegenteiliges bei der Einstellung zugesagt worden sei, für Dienstfahrten kein Fahrzeug mit Automatikgetriebe, wovon im Fahrzeugpool der Beklagten ausreichend vorhanden gewesen seien, zur Verfügung gestellt worden, obwohl sie aufgrund ihrer Gehbehinderung auf die Nutzung eines solchen Fahrzeuges angewiesen sei. Ihr Vorgesetzter, Herr S, sei mehrfach von ihr über diese Missstände informiert worden, habe jedoch nicht für Abhilfe gesorgt. Nachdem sie zur Beseitigung der Missstände das Integrationsamt eingeschaltet habe, sei ihr - unstreitig - auf Initiative des Integrationsamtes - weitere integrative Maßnahmen erfolgten nicht - ein anderes Büro zugewiesen worden. Hier habe jedoch - ebenfalls unstreitig - zunächst die Heizung nicht funktioniert.
Angesichts dieser Gesamtumstände sei die Kündigung wegen Verstoßes gegen die vorgenannten Bestimmungen rechtsunwirksam. D...