Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung einer schwerbehinderten Servicekraft bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zur fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit der ordentlichen unkündbaren Arbeitnehmerin
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung mit Auslauffrist, die der bei einer ordentlichen Kündigung geltenden Kündigungsfrist entspricht, ist auch bei einer ordentlich unkündbaren Arbeitnehmerin grundsätzlich möglich und wird durch § 36 des Manteltarifvertrages für die Deutsche Post AG (MTV-DPAG) nicht ausgeschlossen; § 36 Abs. 2 MTV-DPAG sieht eine außerordentliche personenbedingte Kündigung ausdrücklich vor.
2. Bei Anwendung des für krankheitsbedingte Kündigungen geltenden Prüfungsrasters (Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose, erhebliche betriebliche Auswirkungen künftig zu erwartender Fehlzeiten, Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung nach umfassender Interessenabwägung) ist auf allen drei Stufen der besondere Maßstab des § 626 BGB "verschärfend" zu berücksichtigen; erforderlich ist insoweit, dass das zu erwartende Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung derart krass ausfällt, dass das Arbeitsverhältnis als geradezu sinnentleert anzusehen ist.
3. Die tarifliche Unkündbarkeit wirkt sich im Prozess auch bei der Darlegungslast aus; aus dem Vorbringen der Arbeitgeberin muss von vornherein erkennbar sein, dass sie alles Zumutbare unternommen hat, die durch die Veränderung der Umstände notwendig gewordenen Anpassungen auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken.
4. Wie weit die Darlegungslast der Arbeitgeberin reicht, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab; da die Arbeitgeberin im Regelfall zumindest anhand vorhandener Stellenpools und Stellenpläne zu prüfen hat, ob im Kündigungszeitpunkt oder in absehbarer Zeit die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung der Arbeitnehmerin besteht oder sich eröffnen kann, hat sie im Prozess aufzuzeigen, dass sie dieser Prüfpflicht genügt hat.
5. Hat die Arbeitnehmerin bereits konkrete Vorstellungen von ihrer Weiterbeschäftigung geäußert, muss die Arbeitgeberin durch Tatsachen begründet aufzeigen, weshalb ihr trotz der gegenüber der ordentlich unkündbaren Arbeitnehmerin bestehenden besonderen Beschäftigungspflicht ein Einsatz auf dem benannten Arbeitsplatz nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen ist.
6. Die Arbeitgeberin hat nicht nur darzulegen, dass eine Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerin am bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr möglich ist, sondern außerdem und von sich aus auch vorzutragen, dass überhaupt keine Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis (und sei es zu geänderten Bedingungen und nach entsprechender Umschulung) sinnvoll fortzusetzen; das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit gehört bei der außerordentlichen Kündigung zum "wichtigen Grund" und ist deshalb von der Arbeitgeberin darzulegen.
7. Kommen die vorgelegten Untersuchungsberichte des betriebsärztlichen Dienstes gerade nicht zum Ergebnis, dass jedwede Beschäftigung der als Servicekraft beschäftigten Arbeitnehmerin im Unternehmen zukünftig ausgeschlossen ist, sondern zeigen diese Berichte vielmehr eine Einsetzbarkeit der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Arbeitnehmerin auf (wenn auch in begrenztem Umfang), hat die Arbeitgeberin im Einzelnen darzulegen, dass auch unter Berücksichtigung der sie treffenden Verpflichtungen aus § 81 Abs. 4 SGB IX eine Beschäftigung der Arbeitnehmerin im gesamten Unternehmen, sei es auch zu veränderten Arbeitsbedingungen einschließlich einer Teilzeittätigkeit, auf unabsehbare Dauer ausgeschlossen ist.
Normenkette
BGB §§ 626, 626 Abs. 1; SGB IX § 81 Abs. 4; ZPO § 138 Abs. 1-2; MTV-DPAG § 36 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Halle (Saale) (Entscheidung vom 14.11.2013; Aktenzeichen 2 Ca 212/13) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 14.11.2013 - 2 Ca 212/13 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund außerordentlicher Kündigung der Beklagten, versehen mit einer Auslauffrist.
Die Klägerin ist jedenfalls seit dem 01.11.1981 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern tätig. Seit Juli 2011 erfolgt ihr Einsatz als Servicekraft MOBIS im Bereich Betriebstechnik der Niederlassung Brief H. Die Klägerin ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Auf die Rechtsbeziehungen der Parteien finden kraft einzelvertraglicher Bezugnahme die für die Beklagte geltenden Tarifwerke Anwendung, u.a. der Manteltarifvertrag für die Deutsche Post AG (MTV DPAG).
Die Klägerin genießt gemäß § 34 MTV DPAG Sonderkündigungsschutz dahingehend, dass die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen ist.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien, nachdem sie die Klägerin bereits mit Wirkung zum 07.09.2012 unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitsleistung freigestellt hatte...