Entscheidungsstichwort (Thema)

Prüfung der sozialen Rechtfertigung von krankheitsbedingten Kündigungen in drei Stufen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die soziale Rechtfertigung von krankheitsbedingten Kündigungen ist in drei Stufen zu prüfen: Negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit, darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen sowie Interessenabwägung (betriebliche Beeinträchtigungen führen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung) (vgl. BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 12, juris); unter B. I. 3. a) der Gründe.

a) Grundsätzlich ist für einen Zweijahreszeitraum eine zur Vertretung befristete Kraft einzustellen, um erheblich beeinträchtigende dauerhafte Doppelbesetzung zu vermeiden; unter B. I. 3. c) cc) (1) der Gründe.

b) Im Einzelfall kann die unbefristete Einstellung arbeitsmarkt- oder aufgabenbedingt erforderlich sein. Dies ist aber zu belegen durch konkrete erfolglose Anstrengungen auf dem Arbeitsmarkt oder konkrete Ausführungen zur Spezifik der geschuldeten Arbeitsleistung, die eine überbrückende Vertretung bis zur wieder dauerhaften Übernahme der Tätigkeiten durch die dann wieder arbeitsfähige Vertretene ausschließt; unter B. I. 3. c) cc) (1) der Gründe.

2. Eine Kündigung ist nach § 102 Abs. 1 Satz 3 unwirksam, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist; unter B. II. 1. der Gründe.

a) Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG muss den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, dh. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers einzuwirken (vgl. BAG 22. September 2016 - 2 AZR 700/15 - Rn. 25, juris); unter B. II. 1. der Gründe.

b) Dem wird der Arbeitgeber nicht gerecht, wenn er den ihm bekannten und für ihn entscheidenden Baustein für die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen (interne dauerhafte Nachbesetzung der Stelle der Klägerin) nicht mitgeteilt hat; unter B. II. 2. b) der Gründe.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 1-2; BetrVG § 102 Abs. 1 Sätze 2-3

 

Verfahrensgang

ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 05.04.2023; Aktenzeichen 3 Ca 1330 d/22)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 5. April 2023 - 3 Ca 1330 d/22 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch ordentliche, mit Krankheit der Klägerin begründete Kündigung seitens der Beklagten vom 10. November 2022 zum 31. Dezember 2022.

Die am ... 1969 geborene, verheiratete und einer Tochter zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 1. August 2020 als Bilanzbuchhalterin für ein Bruttomonatsgehalt iHv. EUR 4.150,64 bei einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden beschäftigt.

Die Beklagte beschäftigt weit mehr als 10 Mitarbeiter iSd. Kündigungsschutzgesetzes und ist im Bereich des Ventilatorenbaus ua. für die Industrie, Schiffbau, Kraftwerke, Tunnelbau tätig. Sie unterhält Fertigungsstandorte in D... sowie in G... und der S.... Firmensitz ist P.... Dort arbeitet die Klägerin, und dort besteht auch ein Betriebsrat.

Die Klägerin ist seit dem 6. Dezember 2021 dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt. Bereits ab Oktober 2021 fiel die Klägerin mehrfach vorübergehend wegen Erkrankung arbeitsunfähig aus. Die letzte Arbeitsunfähigkeit vor der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit begann am 22. November 2021 und endete am 3. Dezember 2021. Am Wochenende 4./5. Dezember 2021 hat die Klägerin nicht gearbeitet.

Unter dem 3. Juni 2022 hat die Beklagte die Klägerin zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 167 Abs. 2 SGB IX eingeladen. Dazu ist sie über die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements unter Beifügung der bei der Beklagten bestehenden Betriebsvereinbarung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement vom 31. Mai 2022 sowie einer Einwilligungserklärung zum Datenschutz nebst Informationsblatt über die gesetzlichen Grundlagen des betrieblichen Eingliederungsmanagements aufgeklärt worden.

Mit Schreiben vom 10. Juni 2022 hat die Klägerin ihre Teilnahme am betrieblichen Eingliederungsmanagement abgelehnt.

Der Klinikaufenthalt der Klägerin in der C... Klinik war kein REHA-Aufenthalt. Vielmehr wurde die Klägerin vom 24. August 2022 bis zum 14. Oktober 2022 akut stationär behandelt und arbeitsunfähig entlassen.

Unter dem 26. Oktober 2022 hat die Beklagte die Klägerin erneut zum betrieblichen Eingliederungsmanagement eingeladen. Diese hat unter Hinweis auf die noch bestehende Arbeitsunfähigkeit mit Schreiben vom 2. November 2022 die Einladung nicht angenommen.

Die Beklagte hat den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 4. November 2022 zur beabsichtigten personenbedingten Kündigung gemäß § 102 BetrVG angehört. Der Betriebsrat hat in seiner Sitzung am 7. November 2022 der beabsichtigten Kündigung zugestimmt. Das Anhörungsschreiben der Beklagten lautet auszugsweise wie folgt:

"1.

26 Tage im ...

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