Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfüllung des Urlaubsanspruchs. Nachgewährung des Urlaubs gem. § 9 BUrlG. Keine analoge Anwendung des § 9 BUrlG auf Infektionsschutzfälle

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Hat der Arbeitgeber vorbehaltlos die Zustimmung zum beantragten Urlaub erteilt, liegt darin zugleich die konkludente Zusage der Zahlung des Urlaubsentgelts. Damit erlischt der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers durch Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB).

2. Gem. § 9 BUrlG werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage einer Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers während seines Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerechnet. Der Fall einer behördlich angeordneten "Absonderung" wegen eines Kontakts zu einer an Covid-19 erkrankten Person nach § 30 IfSG ist kein Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 9 BUrlG.

3. Zur wortsinnübergreifenden Gesetzesanwendung durch Analogie bedarf es einer besonderen Legitimation. Die analoge Anwendung einer Norm setzt voraus, dass eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigt gelassene Gesetzeslücke vorliegt und diese Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Freistellung bzw. Arbeitsverbot nach dem BSeuchG oder dem IfSG sind indessen klare Gesetzesregeln, die für einen Eingriff in das BUrlG nicht geeignet und nicht bezweckt sind. § 9 BUrlG ist nicht verallgemeinerungsfähig, seine analoge Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände kommt nicht in Betracht. Eine planwidrige Gesetzeslücke ist nicht zu erkennen.

 

Normenkette

BUrlG §§ 9-10; BSeuchG § 49 Abs. 1; IfSG § 2 Nrn. 5-7, § 30; BGB § 362 Abs. 1; MTV Metallindustrie Hamburg und Umgebung, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern § 11 Nr. 1 und Nr. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Neumünster (Entscheidung vom 03.08.2021; Aktenzeichen 3 Ca 362 b/21)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 03.08.2021 - Az. 3 Ca 362 b/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger einen Teil seines Jahresurlaubs für das Jahr 2020 nach zu gewähren.

Der Kläger ist seit 1986 bei der Beklagten als "Team-Arbeitsvorbereiter Fertigung PT-3" zuletzt auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 09.05.2005 (Anlage B 1) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beidseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Metallindustrie Hamburg und Umgebung, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern (MTV) Anwendung. Dem Kläger stehen bei einer 5-Tage-Woche 30 Arbeitstage Urlaub zu.

Für die Zeit vom 23.12. bis zum 31.12.2020 beantragte der Kläger die Gewährung von sechs Tagen Erholungsurlaub, den die Beklagte gewährte und ihm auch das Urlaubsentgelt hierfür zahlte. Wegen eines Kontakts zu einer an Covid-19 erkrankten Person ordnete das zuständige Gesundheitsamt am 21.12.2020 gegenüber dem Kläger die "Absonderung" nach § 30 IfSG an. Ausweislich des hierzu ergangenen schriftlichen Bescheids vom 04.01.2021 (Bl. 78 d. Berufungsakte) durfte der Kläger in der Zeit vom 21.12.2020 bis zum 04.01.2021 seine Wohnung nicht verlassen und musste den Empfang von Besuchen sowie den Kontakt zu Mitbewohnern und Angehörigen auf das Notwendigste beschränken. Arbeitsunfähig erkrankt war der Kläger nicht.

Mit Schreiben vom 09.02.2021 (Anlage B 3) verlangte der Kläger von der Beklagten ihm sechs Urlaubstage gut zu schreiben. Wegen der angeordneten Quarantäne sei die Anrechnung der Zeit vom 23.12. bis zum 31.12.2020 auf seinen Jahresurlaub unzulässig. Dies lehnte die Beklagte ab.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm weitere sechs Tage Urlaub für das Jahr 2020 zu gewähren.

Er hat seinen Antrag erstinstanzlich mit einer analogen Anwendung des § 9 BUrlG auf den vorliegenden Sachverhalt begründet und dies im Einzelnen ausgeführt.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Urlaubsanspruch des Klägers sei durch Erfüllung erloschen. Der Umstand, dass für den Kläger eine Quarantäne angeordnet worden sei, falle mangels anderweitiger Regelung in dessen Risikobereich. Die Voraussetzungen für eine Analogie zu § 9 BUrlG lägen nicht vor.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG auf den vorliegenden Sachverhalt komme nicht in Betracht. Es fehle schon an einer planwidrigen Lücke. Bei der Schaffung von § 9 BUrlG sei die Unterscheidung zwischen Krankheit und bloß seuchenbezogenen Risiken bereits bekannt gewesen. Die dem gegenüber zitierte Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 1978 überzeuge nicht. Auch sei § 9 BUrlG nach der Rechtsprechung des BAG eng auszulegen. Es komme nicht auf das Maß der Einschränkung des Urlaubsgenusses an, da dieses Kriterium nicht hinreichend sicher abzugrenzen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.

Gegen das am 16.08.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01.09.2021 Be...

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