Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterngeld. im "falschen" Elterngeldmonat genommene Elternzeit. Mindestbezugsdauer. Rückforderung des Elterngelds auch für den zweiten Monat. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Vertrauensschutz. grobe Fahrlässigkeit
Leitsatz (amtlich)
Wird die Mindestbezugsdauer von Elterngeld von zwei Monaten wegen einer Vollzeittätigkeit im zweiten Bezugsmonat nicht erreicht, kann die Rückforderung für den ersten Bezugsmonat im Einzelfall gleichwohl ausgeschlossen sein. Zur Anwendung von §§ 45, 48 SGB X.
Orientierungssatz
Zur für den Elterngeldberechtigten folgenschweren Konstellation, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass er irrtümlich Elternzeit im "falschen" Lebensmonat des Kindes verbracht hat (hier: im 13. statt im beantragten 12. Lebensmonat) und damit der Elterngeldantrag unrichtig und wegen abgelaufener Fristen auch nicht mehr nachträglich korrigierbar ist.
Normenkette
BEEG § 1 Abs. 1, 6, § 2 Abs. 4 S. 1, § 4 Abs. 4 S. 2. Abs. 5 S. 2; SGB X § 45 Abs. 1, 2 S. 3 Nrn. 1-3, § 47 Abs. 1-2, § 48 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nrn. 1-4, § 50 Abs. 1 S. 1
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 24.09.2019 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch über die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Elterngeld für den ersten Lebensmonat des Kindes sowie über die daraus resultierende Erstattungsforderung.
Der Kläger beantragte am 14.07.2016 mit einem Formular der Beklagten Basiselterngeld für den ersten und zwölften Lebensmonat seines 2016 geborenen Kindes T.. Die Auswahl der Monate erfolgte durch Ankreuzen, eine datumsmäßige Beschreibung der Monate war nicht vorgesehen und ist auch nicht erfolgt.
Die Beklagte bewilligte ihm mit Bescheid vom 18.07.2016 Basiselterngeld für den ersten Lebensmonat vom 17.06.2016 bis 16.07.2016 und für den zwölften Lebensmonat vom 17.05.2017 bis zum 16.06.2017 jeweils in Höhe von 1.323,49 €. Die Bewilligung erfolgte unter Vorbehalt des Widerrufs für den Fall, dass der Kläger entgegen seiner im Antrag erklärten Absicht im Bezugszeitraum Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen sollte. Auch wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass jede Erwerbstätigkeit Auswirkungen auf die Höhe des Elterngeldanspruchs haben könne und er verpflichtet sei, der Beklagten die Aufnahme jeder Erwerbstätigkeit unverzüglich mitzuteilen.
Aufgrund eines weiteren Elterngeldantrags für das 2018 geborene zweite Kind des Klägers wurde der Beklagten bekannt, dass der Kläger im zwölften Lebensmonat von T. voll erwerbstätig und im 13. Lebensmonat in Elternzeit war.
Mit Bescheid vom 08.08.2018 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er habe für den zwölften Lebensmonat keinen Anspruch auf Elterngeld, da seine Erwerbstätigkeit in diesem Lebensmonat im Durchschnitt 30 Wochenstunden überstiegen habe. Außerdem sehe das Gesetz die Zahlung von Elterngeld nur für mindestens zwei Monate vor. Die Anspruchsvoraussetzungen erfülle er aber nicht für diesen Mindestzeitraum, so dass ihm deshalb kein Elterngeld gewährt werden könne. Ein rückwirkender Antrag für den 13. Lebensmonat des Kindes könne fristgerecht nicht mehr erfolgen, da dies höchstens für die letzten drei Monate vor dem Monat des Antragseingangs möglich sei. Der Bescheid vom 18.07.2016 werde daher aufgehoben und der Kläger sei verpflichtet, den bereits gezahlten Betrag von 2.646,98 € zu erstatten.
Der Kläger erhob mit Schreiben vom 18.08.2018 Widerspruch. Er legte eine Bescheinigung seiner Arbeitgeberin vom 23.06.2016 vor, wonach ihm in den Zeiträumen vom 17.06.2016 bis 16.07.2016 und vom 17.06.2017 bis 16.07.2017 auf seinen Antrag Elternzeit gewährt werde. Der Kläger brachte vor, er und seine Frau hätten einen folgenschweren Denkfehler gemacht. Als sie die Zeiträume für die Elternzeit des Klägers besprochen hätten, hätten sie diese so ausgewählt, dass der Kläger seine Frau in verschiedenen Altersphasen des Kindes habe unterstützen können. Dabei sei neben dem ersten Lebensmonat von der Zeit nach dem ersten Geburtstag des Sohnes die Rede gewesen. Aufgrund des Denkfehlers „12 Monate = 1 Jahr" hätten sie dann beim Ausfüllen des Antrags den zwölften Lebensmonat angekreuzt. Erst jetzt sei ihnen bewusst geworden, dass sie den 13. Lebensmonat hätten ankreuzen müssen. Als Familie mit zwei kleinen Kindern treffe sie die Entscheidung der Beklagten hart, zumal der Kläger tatsächlich aufgrund der in Anspruch genommenen Elternzeit zwei volle Monate keinen Lohn gehabt habe.
Mit Schreiben vom 04.09.2018 hörte die Beklagte den Kläger noch zur Aufhebung der Bewilligung von Elterngeld an. Hierauf wurde der Widerspruch noch weiter begründet und mitgeteilt, der Widerspruch des Klägers vom 18.08.2018 sei als Anfechtung wegen Erklärungsirrtums auszulegen. Der Kläger habe Elterngeld nach Maßgabe des Schreibens seiner Arbeitgeberin vom 23.06.2016 beantragen wollen. Dabei habe er sich verschrieben und Elterngeld für den ersten und ...