Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragsbemessung in der Sozialversicherung. Zugrundelegung des arbeitsrechtlich geschuldeten Arbeitsentgelts. Entstehungsprinzip. Unerheblichkeit der Frage der Erfüllung des Mindestlohnanspruchs

 

Leitsatz (amtlich)

Maßgebend für die Beitragsbemessung in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung ist das dem Beschäftigten nach dem Entstehungsprinzip arbeitsrechtlich geschuldete Arbeitsentgelt. Die Frage, ob der Arbeitsentgeltanspruch in Höhe des Mindestlohns durch eine Sachzuwendung wirksam erfüllt wurde oder nur durch eine Geldzahlung erfüllt werden kann, ist bei der Verbeitragung des Arbeitsentgelts unbeachtlich.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19.05.2022 aufgehoben.

Der Bescheid der Beklagten vom 07.06.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2018 wird insoweit aufgehoben, als für den Beigeladenen zu 1) Gesamtsozialversicherungs- und Umlagebeiträge erhoben werden.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 2.744,80 € festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungs- und Umlagebeiträgen für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1).

Der Kläger ist Werbekaufmann. Auf seinen Gewerbebetrieb findet kein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag Anwendung.

Im Zeitraum vom 01.04.2014 bis 31.01.2016 beschäftigte der Kläger u.a. den Beigeladenen zu 1) als Monteur in Teilzeit mit 43,5 Arbeitsstunden monatlich. Vereinbart war eine monatliche Vergütung in Höhe von 398,00 €, die aus einem geldwerten Vorteil für die Überlassung eines Firmenwagens (SEAT Alhambra zum Listenpreis von 39.879,99 € inkl. Umsatzsteuer) bestand. Aus dem Sachbezug wurden Sozialversicherungsbeiträge entrichtet. Daneben übte der Beigeladene zu 1) eine Hauptbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber aus und bezog dort im Jahr 2015 ein Bruttoarbeitslohn in Höhe von 33.659,28 €. Weitere geringfügige Beschäftigungen übte er nicht aus.

Am 27.03.2018 führte die Beklagte bei dem Kläger eine Betriebsprüfung hinsichtlich des Prüfzeitraums vom 01.01.2014 bis 31.12.2017 durch.

Nach Anhörung des Klägers forderte die Beklagte mit Bescheid vom 07.06.2018 von dem Kläger u.a. für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) im Zeitraum von 01.01.2015 bis 31.01.2016 Gesamtsozialversicherungs- und Umlagebeiträge in Höhe von 2.744,80 € nach. Dem Beigeladenen zu 1) sei nicht der seit 01.01.2015 gültige gesetzliche Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) in Höhe von 8,50 € brutto je Zeitstunde gezahlt worden. Der Mindestlohn werde als Geldbetrag geschuldet. Die Gewährung geldwerter Vorteile werde nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nicht auf den Mindestlohnanspruch angerechnet.

Den hiergegen am 02.07.2018 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2018 zurück. Begründend führte sie ergänzend aus, dass die Anrechnung des Sachbezugs auf das Arbeitseinkommen auch wegen Verstoßes gegen § 107 Abs. 2 Satz 5 Gewerbeordnung (GewO) unzulässig sei.

Am 05.12.2018 hat der Kläger zum Sozialgericht Ulm (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, ein Verstoß gegen § 107 GewO liege nicht vor, da dem Beigeladenen zu 1) über seine Hauptbeschäftigung der unpfändbare Teil seines Einkommens in bar ausgezahlt worden sei. Auch im Rahmen des MiLoG sei eine Anrechnung von Sachleistungen auf den Mindestlohn zulässig, wenn und soweit der Arbeitnehmer sein unpfändbares Einkommen, egal aus welchem Arbeitsverhältnis, erhalten habe. Dies sei vorliegend der Fall gewesen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Beschluss vom 26.03.2019 hat das SG den betroffenen Arbeitnehmer des Klägers und die Sozialversicherungsträger beigeladen.

Mit Urteil vom 19.05.2022 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Bescheid der Beklagten vom 07.06.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2018 sei im zu prüfenden Umfang rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Maßgebend für die Beitragsbemessung sei das dem Beigeladenen nach dem Entstehungsprinzip arbeitsrechtlich geschuldete Arbeitsentgelt. Vorliegend habe der Beigeladene zu 1) über den zwischen ihm und dem Kläger vereinbarten Sachbezug hinaus Anspruch auf weiteres Arbeitsentgelt nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 MiLoG, so dass sich die Sozialversicherungs- und Umlagebeiträge aus dem Sachbezug und dem darüber hinaus gehenden Arbeitsentgelt berechneten. Der Arbeitgeber habe den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit 8,50 € ergebe. Ausgehend von dem in § 1 Abs. 1 MiLoG verwe...

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