Entscheidungsstichwort (Thema)

Statusfeststellungsverfahren. sachliche Zuständigkeit. Arbeitgebermeldung. Klagebefugnis für DRV Bund. Verwirkung prozessualer Rechte. kollusives Zusammenwirken. Meldung des Arbeitgebers. Anmeldung. Pflicht zur Durchführung eines obligatorischen Statusfeststellungsverfahrens. Vertretung durch Bevollmächtigte. Pflicht der Krankenkassen zur Prüfung einer Verletzung des Rechtsdienstleistungsgesetzes im Verwaltungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Klagebefugnis für die Deutsche Rentenversicherung Bund kann auch darauf beruhen, dass eine Krankenkasse das obligatorische Verfahren nach § 7a Abs 1 S 2 SGB IV pflichtwidrig nicht einleitet.

2. Eine Krankenkasse kann sich gegenüber einem anderen Prozessbeteiligten nicht auf die Verwirkung prozessualer Rechte berufen, wenn sie selbst durch kollusives Zusammenwirken mit Arbeitgeber, Beschäftigten und deren Verfahrensbevollmächtigten das Verwaltungsverfahren zum Nachteil dieses Prozessbeteiligten beeinflusst.

3. Der Begriff "Meldung des Arbeitgebers (§ 28a)" in § 7a Abs 1 S 2 SGB IV meint nicht nur eine Anmeldung iSv § 28a Abs 3 S 2 Nr 1 SGB IV.

4. Eine Anmeldung iSv § 28a Abs 3 S 2 Nr 1 SGB IV hat auch in den in § 12 DEÜV genannten Fällen zu erfolgen.

5. Ein obligatorisches Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs 1 S 2 SGB IV ist auch dann durchzuführen, wenn die Einzugsstelle von einem dort genannten Sachverhalt (Beschäftigter ist Ehegatte, Lebenspartner oder Abkömmling des Arbeitgebers oder geschäftsführender Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung) nicht durch eine Meldung des Arbeitgebers nach § 28a SGB IV erfährt, es aber pflichtwidrig unterlässt, auf richtige und vollständige Angaben hinzuwirken.

6. Auch Krankenkassen und ihre Mitarbeiter sind verpflichtet, im Verwaltungsverfahren eine mögliche Verletzung des Rechtsdienstleistungsgesetzes zu prüfen, wenn sich Antragsteller durch Bevollmächtigte vertreten lassen.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 2) aufgrund ihrer Tätigkeit für das zu 1) beigeladene Taxi-Unternehmen. Dieses wird erst seit Oktober 2015 als Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) geführt und bestand zuvor als Einzelunternehmen ihrer jetzigen Geschäftsführerin (zur Vereinfachung im Folgenden: die Beigeladene zu 1), der Mutter der Beigeladenen zu 2).

Der vorliegende Rechtsstreit ist Teil eines umfangreichen Verfahrenskomplexes, in dem die klagende Deutschen Rentenversicherung Bund Bescheide dreier Krankenkassen (u.a. der hiesigen Beklagten) mit der Begründung angefochten hat, diese hätten in mindestens insgesamt 301 Fällen (davon die hiesige Beklagte in mindestens 195 Fällen) unter Missachtung einschlägiger Vorschriften und Rechtsprechung Mitglieder von der Sozialversicherungspflicht befreit. Allen in diesem Zusammenhang geführten Rechtsstreiten zwischen der Klägerin und der Beklagten liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Ausgangspunkt in 160 Fällen ist die Ende 2008 gegründete, in Stuttgart ansässige a AG, die über eine Erlaubnis als Versicherungsvermittler nach § 34d Abs. 1 Gewerbeordnung verfügt - ausweislich des Rechtsdienstleistungsregisters (www.rechtsdienstleistungsregister.de) aber nicht über eine Befugnis nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) - und zu deren Unternehmensgegenstand ausweislich des Handelsregisters unter anderem die “Beratung von Privat- und Geschäftskunden im Bereich Versicherung, die Tätigkeit als Versicherungsmakler„ zählt. Diese AG bzw. ihre Vorstände T W, AR und W K hatten seit spätestens 2006 - damals noch für die ähnlich ausgerichtete und ebenfalls von ihnen geleitete f AG - ein Geschäftsmodell entwickelt, mit dem sie über vertraglich verbundene Versicherungsvermittler/-vertreter um kleine Familienunternehmen warben mit dem Ziel, für mit dem Firmeninhaber nahe verwandte Mitarbeiter zunächst eine “Befreiung„ von der Sozialversicherungspflicht zu erreichen und sie anschließend für den Abschluss privater Versicherungsverträge zu gewinnen. Bei der umfangreichen und gezielten Suche nach “geeigneten„ Krankenkassen stießen sie unter anderem auf die Beklagte und nahmen Kontakt mit verantwortlichen Krankenkassenmitarbeitern auf, im Falle der Beklagten mit dem Zeugen W, der bei der Beklagten seit ca. 2005 allein für versicherungsrechtliche Beurteilungen zuständig ist. Im Einzelnen gestaltete sich das von der a AG gesteuerte Verfahren wie folgt:

Nachdem die a AG bzw. ihre Mitarbeiter Kunden für ihr Geschäftsmodell gewonnen hatten, kündigten die bisher versicherungspflichtig beschäftigten Angehörigen die Mitgliedschaft bei ihrer bisherigen Krankenkasse. Sodann beantragte die a AG für diese Angehörigen - unter Vorlage je einer Vollmach...

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