Entscheidungsstichwort (Thema)
gesetzliche Unfallversicherung. Quas-Berufskrankheit. keine neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. amyotrophe Lateralsklerose. ALS. Exposition landwirtschaftlicher Schädlingsbekämpfungsmittel. Pflanzenschutztechniker. Gärtner
Leitsatz (amtlich)
Gesicherte Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft liegen hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen Einwirkungen von Herbiziden und Pestiziden in der Landwirtschaft und der Entstehung von ALS-Erkrankungen nicht vor.
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 30.11.2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die auf Hinterbliebenenleistungen gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen wird.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist, ob bei dem verstorbenen Ehemann der Klägerin in Bezug auf dessen amyotrophe Lateralsklerose (ALS) die Voraussetzungen einer Berufskrankheit (BK) oder einer Wie-Berufskrankheit (§ 551 Abs 2 Reichsversicherungsordnung - RVO - bzw § 9 Abs 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII) erfüllt waren.
Der 1942 geborene und am 23.5.1999 verstorbene Ehemann der Klägerin (H) erlernte von 1959 bis 1961 den Beruf eines Pflanzenschutztechnikers und arbeitete danach im Garten- und Weinbau. Von 1971 bis 1978 war er mit der Erforschung von Pflanzenschutzmitteln in der Firma S. betraut. Von 1979 bis April 1982 arbeitete er als Gärtner in der Grünflächenabteilung der Stadt F.. Von 1982 bis 1995 war er neben der Tätigkeit in seinem eigenen Winzer- und Obstbaubetrieb als Subunternehmer Firma der S. mit dem Befüllen von Kesselwagen mit Spritzmitteln befasst.
Im Januar 1997 erstattete der Nervenarzt Dr B. (T. ) eine Anzeige über eine BK bei H. Dr V. (Oberarzt der Neurologischen Klinik der Universität M. ) berichtete der Beklagten im April 1997: Bei der ALS, an welcher H. leide, handele es sich um ein degeneratives Nervenleiden ungeklärter Ursache; vereinzelt seien Fallberichte über toxische Einflüsse veröffentlicht worden; eine Einschätzung, ob ein begründeter Verdacht auf das Vorliegen einer BK vorliege, sei ihm nicht möglich.
Die Technische Abteilung der Beklagten führte im Dezember 1997 aus, H. sei einer erheblichen beruflichen Belastung durch Pflanzenschutzmittel ausgesetzt gewesen. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch Prof Dr Dr D. (Neurologische Klinik des Städtischen Klinikums K. ) vom Juni 1998, der ausführte: Ein sicherer Zusammenhang zwischen Toxinen und einer ALS habe bisher nicht bewiesen werden können. Eine BK liege aus neurologischer Sicht nicht vor; empfohlen werde aber die Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens. Der Staatliche Gewerbearzt A. äußerte sich im Juli 1998: Nach Durchsicht der aktuellen Fachliteratur könne ein Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln und ALS nicht bestätigt werden. Daraufhin lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 6.10.1998 und Widerspruchsbescheid vom 17.6.1999 die Anerkennung einer BK sowie einer Wie-BK (§ 9 Abs 2 SGB VII) ab.
In dem anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Speyer (S 12 U 259/99) schlossen die Beteiligten einen Vergleich, wonach die Beklagte eine nochmalige Prüfung der arbeitstechnischen und medizinischen Voraussetzungen einer BK bzw. Wie-BK vornehmen werde. Sodann holte die Beklagte eine Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom September 2002 ein, wonach dort keine neuen Erkenntnisse darüber vorlägen, ob eine Exposition gegenüber Pestiziden und Herbiziden eine ALS verursachen könne. Daraufhin lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 8.10.2002 und Widerspruchsbescheid vom 20.7.2004 erneut die Anerkennung als BK sowie Wie-BK ab.
Am 5.8.2004 hat die Klägerin Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat auf ihren Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten von PD Dr M. (Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität M.) vom Juni 2006 eingeholt. Dieser hat dargelegt: Bei H. habe eine Mischexposition vorgelegen, sodass die Erkrankung nicht unter eine bestimmte Nummer der BKV subsumiert werden könne. Zwar sei es nach dem Stand der Wissenschaft möglich, dass neben genetischen Faktoren auch Umweltfaktoren einschließlich Pestiziden und Herbiziden als Mitursache einer ALS, an welcher H. verstorben sei, in Betracht kämen. Dies sei jedoch wissenschaftlich nicht gesichert. Auch für Personen, die wie H. in einem sehr hohen Maße gegenüber Herbiziden exponiert gewesen seien, gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass diese beim Menschen eine ALS verursachen könnten.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu verurteilen, die ALS von H. als BK bzw. wie eine BK anzuerkennen und ihr als Rechtsnachfolgerin von H. Verletztenrente sowie Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Durch Urteil vom 30.11.2006 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung aus...