Katharina Haslach, Birgit Zimmermann
Rz. 39
Wie oben ausgeführt, gelten die § 5 Abs. 1 Satz 2 bis 5 EFZG nur noch für Personen- und Fallgruppen. Damit können gesetzlich versicherte Arbeitnehmer nicht mehr verpflichtet werden, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am ersten Tag vorzulegen (sog. Vorlagepflicht). Gesetzlich Versicherten kann aber weiterhin aufgegeben werden, die Arbeitsunfähigkeit bereits am ersten Tag feststellen zu lassen (sog. Feststellungspflicht). Näheres zur Feststellungspflicht findet sich unter Rz. 48 ff.
Gem. § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG ist der Arbeitgeber, insbesondere bei Privatversicherten berechtigt, die Vorlage der Bescheinigung "früher" – und damit bereits ab dem ersten Tag einer Arbeitsunfähigkeit – zu verlangen. Dies bedeutet zum einen, dass die Bescheinigung auch Tage umfassen muss, die vor dem 4. Tag der Arbeitsunfähigkeit liegen, zum anderen, dass die Bescheinigung dem Arbeitgeber auch schon vor dem 4. Tag der Arbeitsunfähigkeit vorliegen muss. Dies führt naturgemäß auch zu einer (weiteren) Beschränkung der Art und Weise der Übermittlung zulasten des Arbeitnehmers: Verlangt ein Arbeitgeber z. B. die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon am ersten Tag einer Arbeitsunfähigkeit, wird der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung regelmäßig per Telefax oder persönlich bzw. Boten zugänglich machen müssen. Ist er allerdings auf den Postweg angewiesen, werden ihm arbeitsrechtliche Sanktionen (Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers nach § 7 Abs. 1 EFZG, Abmahnung, Kündigung) bei verspätetem Zugang nicht drohen, da es am Verschuldensvorwurf fehlt.
Der Arbeitgeber muss sein Vorlageverlangen nicht auf den ersten Tag einer Arbeitsunfähigkeit beziehen. Er kann die Vorlage auch erst am 2. oder 3. Tag verlangen. Er kann zudem die frühere Vorlagepflicht auf bestimmte Zeiten eines Jahres oder Ereignisse (z. B. Karneval, Volksfeste, Schulferien) beschränken. Zulässig wird es auch sein, wenn der Arbeitgeber die Vorlagepflicht auf bestimmte Arbeitnehmergruppen beschränkt. Ist z. B. der Krankenstand bei den Arbeitern im Hinblick auf Kurzerkrankungen signifikant höher als bei den Angestellten, ist es sachlich gerechtfertigt, nur von den Arbeitern die vorzeitige Vorlage zu verlangen. Der Arbeitgeber muss sich aber auf Sachgründe beziehen können. Unzulässig wäre es deshalb z. B., nur von Arbeitnehmern bestimmter Staatsangehörigkeiten, von Betriebs- oder Personalräten oder nur von Mitgliedern einer Gewerkschaft die frühere Vorlage zu verlangen. Ihre Grenze findet das Vorlageverlangen aber an den allgemeinen Schranken jeder Rechtsausübung, insbesondere darf das Verlangen nicht schikanös oder willkürlich sein und weder gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen Diskriminierungsverbote verstoßen.
Aufgrund der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit des Verlangens ist klargestellt, dass der Arbeitgeber die frühere Vorlage einseitig anordnen kann. Es bedarf keiner vertraglichen Vereinbarung.
Verlangen kann der Arbeitgeber die frühere Vorlage zudem ohne Beteiligung des Betriebs- bzw. Personalrats dann, wenn er nur einen einzelnen Arbeitnehmer auffordert. Dagegen muss er den Betriebs- bzw. Personalrat beteiligen, wenn er eine generelle Regelung einführt. Die Frage, wann eine solche generelle Regelung vorliegt, also ein sog. "kollektiver Bezug" kann dabei schwierig zu beantworten sein.
Durch Aushang gibt die Arbeitgeberin im Betrieb Folgendes bekannt: "Wir weisen alle Mitarbeiter an, die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich der Arbeitgeberin anzuzeigen. Alle Versicherten einer gesetzlichen Krankenkasse haben das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer durch einen Arzt feststellen und sich eine ärztliche Bescheinigung darüber aushändigen zu lassen, alle privat versicherten Mitarbeiter haben vor Ablauf des dritten Kalendertags nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer nachzureichen. Diese Regelung gilt auch, wenn die Arbeitsunfähigkeit selbst nur einen Tag besteht. Wir bitten um Beachtung."
Rz. 40
Derartige allgemeine Anordnungen des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern, im Fall einer Erkrankung ein ärztliches Attest vorzulegen, betreffen grundsätzlich eine gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Frage der betrieblichen Ordnung. Rechtsirrig wäre es anzunehmen, dass § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG keinen Regelungsspielraum für eine Mitbestimmung zulasse, weil der Arbeitgeber in jedem Fall und nach freiem Ermessen von der ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen können solle und jede Beteiligung des Betriebsrats zur Einschränkung dieser Möglichkeit führt: Denn, wenn § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG dem Arbeitgeber einen Regelungsspielraum eröffnet, ist dieser gerade Voraussetzung für das Bestehen von Mitbestimmungsrechten, seine Ausfüllung verlangt eine Beteiligung des Betriebsrats.
Das Mitbes...