Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz wegen Nichtabnahme innerhalb eines Rahmen-Liefervertrages (MQB-Hintersitzlehnen)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Zulässigkeit einer gewillkürten Prozessstandschaft und zur Einziehungsbefugnis nach Abtretung und Erteilung einer Einziehungsermächtigung während eines laufenden Rechtsstreits.

2. Zur Auslegung eines Rahmen-Liefervertrages als befristetem Dauerschuldverhältnis.

3. Zur Kündigung eines Rahmen-Liefervertrages aus wichtigem Grund.

4. Zur Auslegung von Schweigen als konkludenter Drohung.

5. Zur Berücksichtigung des Einwands der Verletzung der Schadensminderungspflicht im Feststellungsprozess.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 185, 252, 254 Abs. 2, §§ 280-281, 314, 362

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 29.04.2019; Aktenzeichen 18 O 139/18)

LG Hannover (Beschluss vom 24.06.2019; Aktenzeichen 18 O 139/18)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29. April 2019 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannover (18 O 139/18) in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 24. Juni 2019 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass die Klägerin zu 2 verpflichtet ist, der Beklagten allen Schaden zu ersetzen, der ihr dadurch entstanden ist und / oder noch entstehen wird, dass die Klägerin zu 2 die Kündigung des Liefervertrags zwischen ihr und der Beklagten betreffend ...-Hintersitzlehnen mit Kündigungserklärung vom 20. März 2018 zum 31. März 2019 erklärt hat sowie seit dem 1. April 2019 die Erfüllung des Liefervertrags verweigert, d. h. von diesem Zeitpunkt bis zum Ende der Produktion ("EOP") sämtlicher ...-Fahrzeugmodelle gemäß Anlage 2 (= Anlage 5 zur Anlage W 2) zum Antrag nicht mehr 80 % ihres Europabedarfs an ...-Hintersitzlehnen gemäß Teile-Nr. und Teile-Bezeichnung gemäß Anlage 1 (= Anlage 2 zur Anlage W 2) zum Antrag abruft und abnimmt und / oder abrufen und abnehmen lässt.

2. Die Klägerin zu 2 wird verurteilt, der Beklagten monatlich Auskunft zu erteilen über sämtliche an Dritte erteilte Aufträge und / oder von Dritten erfolgte Lieferungen von und / oder selbst hergestellte Mengen an ...-Hintersitzlehnen gemäß Teile-Nr. und Teile-Bezeichnung gemäß Anlage 1 zum Antrag, aufgeschlüsselt nach Liefermengen und Lieferzeiten, für die Zeit vom 1. April 2019 bis zum Ende der Produktion ("EOP") sämtlicher ... A-Fahrzeugmodelle gemäß Anlage 2 zum Antrag, wobei die Auskunftserteilung spätestens bis zum 25. des jeweiligen Folgemonats zu erfolgen hat.

3. Die Klagen, die (Zwischen)Feststellungsklagen aus dem Schriftsatz der Klägerinnen vom 4. Oktober 2020 und die Widerklage im Übrigen werden abgewiesen.

II. Von den Kosten der ersten Instanz und des Berufungsverfahrens tragen die Gerichtskosten die Klägerin zu 1 zu 1/3, die Klägerin zu 2 zu 7/12 und die Beklagte zu 1/12. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2 trägt die Beklagte zu 1/8, die außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen die Klägerin zu 1 zu 1/3 und die Klägerin zu 2 zu 7/12. Im Übrigen trägt jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin zu 2 darf die Vollstreckung der monatlichen Auskunftsverpflichtung durch Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 2.000 EUR abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der jeweiligen Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen darf der jeweilige Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.000.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Beendigung zwischen ihnen geschlossener Verträge über die Zulieferung von Hintersitzlehnenrahmen. Die Klägerinnen begehren die Feststellung, dass aufgrund von ihnen ausgesprochener Kündigungen sämtliche Vertragsbeziehungen zur Beklagten zum 31. März 2019 beendet worden seien und seit Ablauf des 31. März 2019 kein Anspruch der Beklagten auf Abnahme von Hintersitzlehnenrahmen einschließlich Belag und Zusammenbau mehr bestehe. Die Beklagte nimmt die Klägerin zu 2 widerklagend inzwischen auf Schadensersatz insbesondere wegen unterlassenen Abrufs und unterlassener Abnahme von Hintersitzlehnenrahmen in Anspruch und begehrt Auskünfte zwecks Bezifferung dieses Teils des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs.

Die Klägerin zu 1 ist der größte europäische Automobilhersteller mit Sitz in ... und einer der drei größten Automobilhersteller weltweit; die Klägerin zu 2 ist eine tschechische Automobil- und Motorenherstellerin und Teil der .... Die Beklagte ist ein international tätiger Automobilzulieferer mit Sitz in ... und Teil eines Unternehmensgeflechts ("..."); sie übernahm mit Wirkung vom 1. März 2010 im Rahmen eines sog. asset-deals das A...

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