Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage einer arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmerin bei kurzer Restfrist

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Antrag auf nachträgliche Klagezulassung ist nicht stets schon dann begründet, wenn ein Arbeitnehmer nach längerer Ortsabwesenheit außerhalb der dreiwöchigen Klagefrist das an seine Heimatadresse gerichtete Kündigungsschreiben vorfindet. Es kommt weiter darauf an, dass die Abwesenheit unverschuldet war. Dieses ist außer bei einem Urlaub i. d. Regel auch bei längerer Arbeitsunfähigkeit der Fall. Eine Überlegungsfrist bei § 4 KSchG von einem Tag ist zu kurz.

 

Normenkette

KSchG § 4 S. 1, § 5 Abs. 1 S. 1; BGB § 130

 

Verfahrensgang

ArbG Dresden (Entscheidung vom 11.05.2015; Aktenzeichen 1 Ca 3034/14)

 

Tenor

Die Kündigungsschutzklage wird nachträglich zugelassen.

Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 5.400,00 € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Parteien streiten im Nebenverfahren nach § 5 KSchG über die nachträgliche Zulassung einer verspäteten Kündigungsschutzklage.

Die Klägerin war bei der Beklagten aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrages vom 06.06.2012, ergänzt durch die Vereinbarung vom 04.06.2014, bis zum 31.12.2014 als Teamassistentin zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von durchschnittlich 1.800,00 € beschäftigt.

Mit Schreiben vom 09.09.2014, der Klägerin durch Einwurf in den Hausbriefkasten zugegangen am 10.09.2014, hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächst zulässigen Termin nach vorheriger einschlägiger Abmahnung wegen unentschuldigten Fernbleibens der Klägerin gekündigt.

Bei der Klägerin wurde am 19.08.2014 eine Schwangerschaft festgestellt.

Seit 09.09.2014 ist die Klägerin arbeitsunfähig krank.

Sie hielt sich jedoch während der Arbeitsunfähigkeit nicht in ihrer Wohnung in ..., sondern bei ihrem Partner in ... auf, da sie sich aufgrund der festgestellten Schwangerschaft nicht wohlfühlte. Die Klägerin war insoweit sensibilisiert, nachdem sie bereits zwei Abgänge erleben musste. Während des Aufenthalts in ... musste sie wegen Komplikationen auch das Krankenhaus aufsuchen. Erst am Abend des 01.10.2014 kehrte die Klägerin kurzzeitig in ihre Wohnung in ... zurück und fand neben der Kündigung vom 09.09.2014 auch eine Abmahnung vom 08.09.2014 sowie die Aufforderung vom 15.09.2014 zur Rückgabe der Schlüssel im Briefkasten vor.

Unter dem 13.10.2014 erhob die Klägerin hinsichtlich der Kündigung vom 09.09.2014 Kündigungsschutzklage und beantragte gleichzeitig, die gegen die außerordentliche Kündigung vom 09.09.2014 gerichtete Klage nachträglich zuzulassen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 13.11.2014, der Klägervertreterin zugestellt am 17.11.2014, den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels ausreichender Erfolgsaussicht wegen Versäumung der Frist des § 4 KSchG abgelehnt und den Antrag vom 13.10.2014 auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zurückgewiesen.

Der hiergegen eingelegten sofortigen Beschwerde der Klägerin vom 15.12.2014, beim Arbeitsgericht eingegangen am gleichen Tag und begründet mit Schriftsatz vom 15.01.2015, hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 27.01.2015, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 70/71 d. A.), nicht abgeholfen und sie dem Sächsischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt und insbesondere auf die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

II.

Die sofortige Beschwerde (§§ 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG, 78 Abs. 1 ArbGG, 577 Abs. 2, 567 ff. ZPO) ist begründet. Die Klägerin hat es nicht vorwerfbar versäumt, die Kündigungsschutzklage rechtzeitig zu erheben.

1. Auch wenn die Beklagte gewusst haben sollte, dass die Klägerin sich nicht zu Hause aufhielt, ging die an die Wohnanschrift verschickte Kündigung mit Einwurf der Kündigung in den Hausbriefkasten der Klägerin am 10.09.2014 zu.

a) Eine verkörperte Willenserklärung ist zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen (BAG 11.11.1992 - 2 AZR 328/92 - zu III. 1. d. Gründe, AP BGB § 130 Nr. 18 = EzA BGB § 130 Nr. 24; 16.03.1988 - 7 AZR 587/87 - zu I. 1. d. Gründe, BAG 58, 9; BGH 11.04.2002 - I ZR 306/99 - zu II. d. Gründe, NJW 2002, 2391). Zum Bereich des Empfängers gehören auch von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie z. B. ein Briefkasten (Palandt/Ellenberger 70. Auflage § 130 BGB Rn. 5). Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den "gewöhnlichen Verhältnissen" und den "Gepflogenheiten des Verkehrs" zu beurteilen (BAG 08.12.1983 - 2 AZR 337/82 - zu B. II. 2. a d. Gründe, AP BGB § 130 Nr. 12 = EzA BGB § 130 Nr. 13; BGH 03.11.1976 - VIII ZR 140/75 - zu 2. b aa der Gründe, BGHZ 67, ...

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