Rz. 12
Nach § 86 SGB X sind die Leistungsträger, ihre Verbände und die im SGB genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen verpflichtet, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben eng zusammenzuarbeiten. § 26 Abs. 1 SGB IX verpflichtet die Rehabilitationsträger allgemein zur Zusammenarbeit, um zu einzelnen Themen Gemeinsame Empfehlungen zu erarbeiten und zu vereinbaren. Die einzelnen Themenbereiche, zu denen Gemeinsame Empfehlungen zu vereinbaren sind, werden in § 26 Abs. 2 benannt. Dabei verpflichtet der Gesetzgeber die Rehabilitationsträger i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 5, durch "Selbstverpflichtungen" in Form von sog. Gemeinsamen Empfehlungen zu zielgerichteten Handlungsweisen zu gelangen. Insofern präzisiert § 26 Abs. 2 seine in Abs. 1 aufgeführte Zielsetzung zwecks einer schnellen und reibungslosen Zusammenarbeit ausdrücklich auf bestimmte Themen.
Durch Gemeinsame Empfehlungen verspricht sich der Gesetzgeber u. a.
- bei der Beteiligung unterschiedlicher Rehabilitationsträger ein reibungsloseres Fallmanagement im Rehabilitations- bzw. Teilhabeprozess und
- im Einzelfall neben einer frühzeitigen Teilhabe-Bedarfserkennung und -ermittlung eine zügige, wirksame und wirtschaftliche Darreichung der Teilhabeleistungen "wie aus einer Hand".
Rz. 13
§ 26 Abs. 2 hat für die in § 6 Abs. 1 bis 5 aufgeführten Rehabilitationsträger und für die der jeweiligen Gemeinsamen Empfehlung beigetretenen Träger eine verpflichtende Wirkung. Allerdings können leistungsberechtigte Bürger keine Rechtsansprüche daraus ableiten (BT-Drs. 14/5074 v. 16.1.2001, S. 101 f., sowie BR-Drs. 49/01 v. 26.1.2001, S. 301, jeweils zur Vorgängervorschrift des § 13).
Kommen Gemeinsame Empfehlungen nicht in dem Zeitraum oder mit den Regelungen zustande, die sich das BMAS vorstellt, hat das BMAS ein Vorschlagsrecht. Dem Vorschlag ist zu folgen, wenn berechtigte Interessen der Rehabilitationsträger den vorgeschlagenen Regelungen nicht entgegenstehen (vgl. § 26 Abs. 7). Einzelheiten hierzu vgl. Rz. 66.
2.2.1 Prävention (Abs. 2 Nr. 1)
Rz. 14
§ 25 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 26 Abs. 1 verpflichtet die Rehabilitationsträger zur Bereitstellung von geeigneten Präventionsleistungen. Ziel ist, den Eintritt einer Behinderung (vgl. Komm. zu § 2) zu verhindern bzw. die Verschlimmerung einer bereits bestehenden Behinderung oder das Hinzutreten von weiteren Behinderungen zu vermeiden (Tertiär-Prävention). Dadurch soll dem einzelnen Menschen so gut und solange wie möglich eine möglichst ungehinderte Teilhabefähigkeit ermöglicht werden.
§ 26 Abs. 2 Nr. 1 befasst sich mit der Frage, welche Präventionsleistungen überhaupt geeignet sind, den Eintritt einer Behinderung zu vermeiden. Im Vordergrund stehen also grundsätzliche Fragen,
- ob und wie Präventionsleistungen erfolgreich im Sinne des Erhalts der Teilhabefähigkeit oder der Vermeidung von weiteren Behinderungen sind (vgl. Rz. 20 ff.),
- wie der Bedarf an Präventionsleistungen erkannt werden kann (Rz. 16 ff.) und
- welchen grundsätzlichen Inhalt diese Präventionsleistungen haben sollten.
Rz. 15
Zu der Thematik haben die Rehabilitationsträger zuletzt im Januar 2018 in ihrer "Gemeinsamen Empfehlung nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 25 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX, damit Prävention entsprechend dem in § 3 SGB IX genannten Ziel erbracht wird" – kurz: Gemeinsame Empfehlung "Prävention" genannt – grundsätzliche Regeln vereinbart. Gefolge dem Grundsatz "Vorrang von Prävention" hebt diese die Notwendigkeit hervor, einer chronischen Krankheit, die
- zu einer Behinderung,
- zur Verschlimmerung einer Behinderung oder
- zu einer weiteren Behinderung
führen kann, rechtzeitig, also spätestens bei der Feststellung erster gesundheitlicher Einschränkungen, wirkungsvoll entgegenzutreten. Ziel ist dabei nicht, wie eine Krankheit vermieden werden kann – das ist Aufgabe der Krankenkasse nach den §§ 20 ff. SGB V –, sondern wie eine Behinderung, die die Teilhabefähigkeit in Arbeit, Schule, Beruf und Gesellschaft einschränkt bzw. gefährdet, verhindert werden kann.
Rz. 16
Die Prävention erfordert
- eine rehabilitationsträgerübergreifende, abgestimmte Zusammenarbeit,
- ein rechtzeitiges Vorgehen und
- geeignete Gegenmaßnahmen.
Die Prävention nach § 3 SGB IX beabsichtigt grundsätzlich zum einen eine Verhältnismodifikation, also eine Beeinflussung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie der Gesundheitsrisiken, die von den Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgehen. Zum anderen zielt sie auf eine Verhaltensmodifikation und Verbesserung der gesundheitlichen Situation, indem sie bei einzelnen Personen bzw. Gruppen von Personen ansetzt (§ 3 Abs. 1 der Gemeinsamen Empfehlung "Prävention"). Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Kontextfaktoren zu. Kontextfaktoren stellen den gesamten Lebenshintergrund einer Person dar und umfassen sowohl die
Umweltfaktoren (bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der Menschen leben und ihr Leben gestalten; z. B. Arbeits- und Wohnumfeld, Verhaltensweisen anderer Mitmenschen)
als auch
- auf die jeweilige Person bezogenen Faktoren (person-bezogene Fakt...