Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Feststellung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage. Durchführung des Vorverfahrens. Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung. Belehrung über Formvorschriften. Erforderlichkeit eines Hinweises auf elektronische Kommunikation. Verpflichtung zur Zugangseröffnung. Schleswig-Holstein. Anwendbarkeit des § 52b VwG SH auf gemeinsame Einrichtungen des SGB 2

 

Orientierungssatz

1. Das im Rahmen der Anfechtungsklage als Zulässigkeitsvoraussetzung erforderliche Vorverfahren (§§ 54 Abs 1, 78 SGG) wurde auch dann durchgeführt, wenn der Antragsgegner die Widersprüche des Antragstellers als unzulässig zurückgewiesen hat (vgl BSG vom 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 54).

2. Die elektronische Form ist zumindest seit dem 1.1.2018 neben der Schriftform und der mündlichen Form (zur Niederschrift) als gleich gewichtige Form sowie als weiterer Regelweg zu sehen und in die Rechtsbehelfsbelehrung grundsätzlich aufzunehmen.

3. Etwas anderes dürfte nur dann gelten, wenn der Empfänger einen für die Übermittlung elektronischer Dokumente erforderlichen Zugang nicht eröffnet hat.

4. Zur Verpflichtung gemeinsamer Einrichtungen des SGB 2 (hier: Jobcenter) im Land Schleswig-Holstein, ab 1.1.2018 einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente nach § 52b VwG SH zu eröffnen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 24. September 2018 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der beim Sozialgericht Kiel anhängigen Klage (Az. S 34 AS 564/18) der Antragsteller gegen den Erstattungsbescheid vom 30. Mai 2018 und den Erstattungs- und Aufrechnungsbescheid vom 30. Mai 2018 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 21. August 2018 festgestellt.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für das gesamte Verfahren.

 

Gründe

I. Streitig ist die Feststellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Erstattungsbescheid und einen Erstattungs- und Aufrechnungsbescheid bei endgültiger Festsetzung von Leistungen gemäß § 41a Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Mit Bescheiden vom 30. Mai 2018 forderte der Antragsgegner nach endgültiger Festsetzung der Leistungsansprüche der Antragsteller für die Zeit vom 1. November 2017 bis zum 30. April 2018, die Antragsteller zur teilweisen Erstattung der ihnen vorläufig gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 1.090,80 EUR auf. In Bezug auf den Antragsteller zu 1. rechnete der Antragsgegner zudem die überzahlten Leistungen in Höhe von monatlich 37,40 EUR auf. Beide Bescheide enthielten in ihrer Rechtsbehelfsbelehrung keinen Hinweis auf die seit 1. Januar 2018 in § 84 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgenommene Möglichkeit, den Widerspruch auch in elektronischer Form nach § 36a Abs. 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) einzureichen.

Mit Schreiben vom 19. Juli 2018 erhoben die Antragsteller Widerspruch gegen die Bescheide vom 30. Mai 2018. Der Antragsgegner erkannte die aufschiebende Wirkung der Widersprüche an. Er wies jedoch mit Schreiben vom 20. Juli 2018 darauf hin, dass die Widersprüche nicht fristgemäß erhoben worden seien, die Rechtsbehelfsbelehrung nicht zu beanstanden sei und Gründe für eine Wiedereinsetzung nicht ersichtlich seien. Die Antragsteller teilten mit Schreiben vom 2. August 2018 mit, dass die Widersprüche nicht verfristet seien und verwiesen auf § 66 SGG i.V.m. § 84 SGG.

Mit Bescheiden vom 21. August 2018 verwarf der Antragsgegner die Widersprüche als unzulässig. Die Widersprüche seien erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist (2. Juli 2018) eingegangen. Es seien keine Gründe erkennbar, die das Fristversäumnis rechtfertigten und eine Wiedereinsetzung ermöglichten.

Daraufhin erhoben die Antragsteller am 2. September 2018 Klage vor dem Sozialgericht Kiel erhoben. Nachdem der Antragsgegner den Antragstellern am 4. September 2018 mitteilte, dass er die aufschiebende Wirkung der Klage nicht anerkenne, haben die Antragsteller am selben Tag Eilrechtsschutz vor dem Sozialgericht Kiel beantragt mit dem sie die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage begehren. Sie sind der Auffassung, dass die vom Antragsgegner verwendete Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig sei, da auf die Möglichkeit der Einreichung des Widerspruchs in elektronischer Form nicht hingewiesen werde.

Mit Beschluss vom 24. September 2018 hat das Sozialgericht Kiel den Antrag abgelehnt. Die Rechtsmittelbelehrung sei nicht fehlerhaft. Der Antragsgegner habe nicht darüber belehren müssen, dass der Rechtsbehelf auch im Wege der elektronischen Kommunikation eingelegt werden kann. Die Bescheide vom 30. Mai 2018 seien mit verfristeten Widersprüchen angefochten und bindend geworden. Ein Fall des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG liege nicht vor, da die Rechtsbehelfsbelehrung nicht unrichtig sei. Es könne dahinstehen, ob...

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