Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Vorverfahren. Verfahrensfehler. Besorgnis der Befangenheit bei Vorbefassung eines Mitglieds des Widerspruchsauschusses einer Berufsgenossenschaft. Beweisverwertungsverbot

 

Orientierungssatz

1. Ein Verstoß gegen § 200 Abs 2 SGB 7 kann ein Beweisverwertungsverbot begründen (vgl BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R = BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1).

2. Die Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn ein Mitglied des Widerspruchsausschusses der Berufsgenossenschaft über den Widerspruch eines Versicherten gegen die Ablehnung eines Rentenanspruchs entscheidet, obwohl es bereits an der ursprünglichen Ablehnungsentscheidung des Rentenausschusses beteiligt war.

 

Tenor

Der Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die hälftigen außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit.

Der am 0 geborene Kläger war von 1977 bis 1997 bei der Firma ... im Bereich der Isolierglasfertigung beschäftigt. Im Rahmen dieser Tätigkeit musste er u.a. Isolierglasscheiben mit Schultergurten transportieren. Anschließend war er als Gastronom selbständig tätig. Nachdem bei ihm Erkrankungen der Lendenwirbelsäule diagnostiziert worden waren, stellte er einen Antrag auf Anerkennung und Entschädigung der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKV (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können). Die Rechtsvorgängerin der Beklagten lehnte diesen Antrag nach Einholung einer Stellungnahme des Chirurgen Dr. ... vom 07.06.2005 ab. Widerspruchs,- Klage- und Berufungsverfahren blieben erfolglos (Az. des erstinstanzlichen Verfahrens: S 10 (14) U 49/06, Az. des Berufungsverfahrens: L 15 U 203/07). Im Rahmen des Berufungsverfahrens L 15 U 203/07 erklärte der Kläger, er habe während seiner Tätigkeit für die Firma ... auch schwere Lasten über der Schulter tragen müssen und verwies auf bei ihn bestehende Erkrankungen auch des Abschnitts der Halswirbelsäule. Die Beklagte leitete daraufhin ein Verfahren zur Prüfung der Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) ein und holte unter dem 13.09.2010 eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes ein. Weiter zog sie die Stellungnahme von Dr. ... vom 07.06.2005, ein im Verfahren S 10 (14) U 49/06 eingeholtes Gutachten des Orthopäden Dr. ... vom 20.03.2007, ein im Berufungsverfahren L 15 U 203/07 eingeholtes Gutachten der Fachärztin für Orthopädie Dr. ... vom 07.12.2008 sowie in jenem Verfahren eingeholte Stellungnahmen des Arztes für Orthopädie Dr. ... vom 29.05.2008, 23.03. und 06.10.2010 bei. Mit Bescheid vom 14.10.2010 lehnte der Rentenausschuss der Bezirksverwaltung Würzburg der Beklagten eine Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV sowie eine Entschädigung hierfür ab. Der Rentenausschuss war hierbei u.a. mit der von der Arbeitgeberseite entsandten Vertreterin ... besetzt. Zur Begründung führte der Rentenausschuss aus, der Kläger habe im Rahmen seiner Tätigkeit keine Lasten von 50 kg oder mehr über einen Zeitraum von 10 Jahren getragen. Der Kläger legte am 09.11.2010 Widerspruch ein und führte u.a. aus, er habe nicht lediglich im Bereich der Montage, sondern auch im Haupttätigkeitsbereich Produktion schwere Lasten tragen müssen. Die Beklagte holte eine Stellungnahme der Rechtsnachfolgerin der Firma ... vom 04.02.2011 ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011 zurück. Im Widerspruchsausschuss saß als Vertreterin der Arbeitgeber ..., die bereits an der Entscheidung des Rentenausschusses vom 14.10.2010 beteiligt gewesen war.

Am 22.07.2011 hat der Kläger Klage erhoben.

Er ist der Ansicht, der Bescheid des Rentenausschusses vom 14.10.2010 lasse nicht erkennen, von welchem Organ er erlassen worden sei. Überdies sei nicht die Bezirksverwaltung Würzburg der Beklagten zuständig gewesen. Weiter unterliege die zum Verfahren betreffend die BK nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV beigezogene Stellungnahme von Dr. ... vom 07.06.2005 einem Beweisverwertungsverbot, weil sie unter Verletzung von Vorschriften über die Erhebung von Sozialdaten zustande gekommen sei. Da die Ausführungen von Dr. ... auch die gutachtlichen Äußerungen von Dr. ... beeinflusst hätten, erstrecke sich das Beweisverwertungsverbot auch auf dessen Äußerungen. Schließlich sei jede...

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