Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. künstliche Befruchtung. Kryokonservierung von männlichen Keimzellen im Zuge einer Transitionsbehandlung
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Kryokonservierung von Keimzellen nach § 27a Abs 4 SGB V umfasst auch die Kryokonservierung nach Transition.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 3. September 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2021 verurteilt, der Klägerin die für die Jahre 2021 und 2022 entstandenen Kosten für die Kryokonservierung bei der K. Berlin GmbH in Höhe von 480,- Euro zu erstatten und die weiterhin entstehenden Kosten für die Kryokonservierung bei der K. Berlin GmbH bis zum Erreichen des 50. Lebensjahrs der Klägerin zu übernehmen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kosten der Kryokonservierung von männlichen Keimzellen.
Die als Mann am 1. Juni 1986 geborene Klägerin führt seit 2016 eine Transitionsbehandlung durch, deren Kosten von der Beklagten getragen werden. Im Jahr 2016 wurde die Hormonersatztherapie unterbrochen, um die Kryokonservierung der Samenzellen zu ermöglichen. Ab September 2018 fand die operative Geschlechtsangleichung statt.
Am 27. August 2021 stellte die Klägerin den Antrag auf Kostenübernahme der jährlich entstehenden Kosten für die Kryokonservierung bei der K. Berlin GmbH in Höhe von 240,- Euro.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 3. September 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2021 ab. Dies begründete sie im Wesentlichen damit, dass eine geschlechtsangleichende Behandlung keine lediglich keimschädigende Therapie sei, da die Unfruchtbarkeit als bewusste Folge der Geschlechtsangleichung in Kauf genommen werde.
Am 11. Januar 2022 hat die Klägerin Klage erhoben.
Die Klägerin hat eine Rechnung vom 5. Oktober 2021 bezüglich der Jahresgebühr für 2021 und eine Rechnung vom 1. September 2022 bezüglich der Jahresgebühr für 2022 und die jeweiligen Überweisungsbelege eingereicht.
Die Klägerin trägt vor, dass sowohl die Hormontherapie als auch die Genitalangleichung durch die Beklagte genehmigt und die Kosten übernommen worden seien. Der Beginn und die Durchführung der keimzellenschädigenden Therapie seien der Beklagten also bekannt. Eine Geschlechtsangleichung im Rahmen einer medizinisch notwendigen Behandlung von Transsexualität sei ohne Unfruchtbarkeit nicht möglich. Die Voraussetzungen des § 27a Abs. 1 SGB V müssten erst in der Zukunft gegeben sein. Es sei eine künstliche Befruchtung einer Ehepartnerin mit den kryokonservierten Samenzellen möglich.
Nachdem die Klägerin zunächst die Kostenübernahme für die Kryokonservierung beantragte, beantragt sie nunmehr sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3. September 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2021 zu verurteilen, die Kosten für die Kryokonservierung zu übernehmen und die bereits für die Jahre 2021 und 2022 entstandenen Kosten in Höhe von 480,- Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt zunächst vor, dass nicht ersichtlich sei, ob bereits mit der keimzellenschädigenden Therapie begonnen worden sei. Die Unfruchtbarkeit sei eine unvermeidbare Folge einer Geschlechtsumwandlung. Daher sei die geschlechtsangleichende Therapie keine lediglich potentiell keimschädigende Therapie, sondern ein notwendiges Therapieziel. Aus der Gesetzesbegründung zum TSVG ergebe sich, dass der Anspruch auf eine künstliche Befruchtung bestehen und um den Anspruch auf die Kryokonservierung ergänzt werden solle, wenn aufgrund einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellenschädigenden Therapie die Gefahr der Unfruchtbarkeit bestehe. Die Übernahme der Kosten der Kryokonservierung nach § 27a Abs. 4 SGB V erfolge, wenn diese für spätere Maßnahmen zur Herbeiführung der Schwangerschaft nach § 27a Abs. 1 SGB V notwendig sei. Daher bestehe kein Anspruch auf die Kryokonservierung, wenn bei Antragszeitpunkt bereits klar sei, dass die Voraussetzungen des Absatz 1 nicht erfüllt werden könnten. Denn zum Antragszeitpunkt bestehe eine Mann-zu-Frau-Situation, im Falle des Einsatzes des konservierten Materials eine reine Frau-Situation. Die Voraussetzungen der Ehe müssten zwar für den Anspruch nach Absatz 4 nicht gegeben sein, weil auch junge Männer Kryokonservierung durchführen sollten, um später gegebenenfalls die Befruchtung der Partnerin zu ermöglichen. Vorliegend liege eine Veränderung des Geschlechts von Mann zu Frau vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte verwiesen, die dem Gericht vorgelegen hat und Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Klage ist als Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig, § 54 Abs. 1, 4 SGG.
Die Umstellung d...