Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung. Erstattungsanspruch ggü der Krankenkasse. Zahlung von Mutterschutzlohn. keine Begrenzung auf die ersten zwölf Monate nach der Geburt des Kindes. keine analoge Anwendung von § 7 Abs 2 MuSchG
Orientierungssatz
Der Anspruch auf Mutterschutzlohn ist nicht auf die ersten zwölf Monate nach der Geburt des Kindes begrenzt. Eine analoge Anwendung von § 7 Abs 2 MuSchG (juris: MuSchG 2018) scheidet in diesem Zusammenhang aus.
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 29.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.03.2020 verurteilt, der Klägerin den für die Beschäftigte Dr. S.D. in der Zeit vom 01.07.2019 bis 31.08.2019 geleisteten Mutterschutzlohn in Höhe von 13.200 € zu erstatten.
II. Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Aufwendungen nach dem Aufwendungsausgleichgesetz (AAG).
Die Klägerin betreibt eine zahnärztliche Gemeinschaftspraxis. In dieser ist u.a. die bei der Beklagten gesetzlich gegen Krankheit versicherte Frau Dr. S.D. als angestellte Zahnärztin beschäftigt.
Frau Dr. D. entband am 2018 Zwillinge. Gemäß ärztlichem Attest der frauenärztlichen Gemeinschaftspraxis Dres. K. vom 23.04.2019 stillt sie die Kinder. Aufgrund des Stillens sprach die Klägerin gegenüber Frau Dr. D. ein Beschäftigungsverbot aus. Die Klägerin beantragte die Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen bei der Beklagten.
Die Beklagte teilte der Klägerin mit Bescheid vom 01.08.2019 mit, dass eine Erstattung der Aufwendungen für die Zeit vom 01.07.2019-31.07.2019 nicht möglich sei, weil die Kinder das 1. Lebensjahr vollendet hätten. Seit dem 01.01.2018 sei im § 7 Abs. 2 MuSchG geregelt, dass eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Freistellung der stillenden Mutter spätestens dann nicht mehr gegeben sei, wenn das Kind das 1. Lebensjahr vollendet habe.
Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Email vom 16.08.2019. Der von der Beklagten zitierte § 7 MuSchG regele lediglich die Freistellung von der Arbeit bzw. die Einräumung von Stillpausen bei der arbeitenden Mutter. Dies treffe auf Fr. Dr. D. gerade nicht zu - die Stillzeit an sich sei laut diesem Paragraphen nicht begrenzt.
Bei Frau Dr. D. bestehe ein Beschäftigungsverbot als stillende Mutter aufgrund ihres Berufes als Zahnärztin. Bei einem Beschäftigungsverbot lägen gerade gesundheitliche Risiken vor, die eine Beschäftigung der stillenden Mutter gesetzlich verbieten würden. Auch bei einer Stillzeit länger als ein Jahr ändere sich daran nichts. Im "Leitfaden zum Mutterschutz", am 12.01.2018 veröffentlicht durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend heiße es ausdrücklich: "Der Anspruch ist Freistellung während der Stillzeit sei auf 12 Monate nach der Geburt des Kindes begrenzt. Diese zeitliche Regelung gilt nicht für den Gesundheitsschutz. Ihr Arbeitgeber muss über die gesamte Stillzeit sicherstellen, dass Gesundheitsgefahren für Sie und ihr Kind ausgeschlossen sind."
Für Frau Dr. D. gebe es in der Zahnarztpraxis der Klägerin keinen anderen Arbeitsplatz, an dem das Kindeswohl nicht gefährdet wäre. Frau Dr. D. dürfe also nicht beschäftigt werden, die Klägerin sei zur Zahlung des Mutterschutzlohnes gesetzlich verpflichtet (§ 18 MuSchG), der Arbeitgeber habe wiederum einen 100%igen Erstattungsanspruch gegenüber der Krankenkasse (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 AAG, U2-Umlageverfahren).
Mit weiterem Bescheid vom 29.08.2019 lehnte die Beklagte die Erstattung von Aufwendungen für die Zeit Monate Juli und August 2019 unter Verweis auf § 7 Abs. 2 und § 12 MuSchG ab.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 25.09.2019 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch.
Als Arbeitgeber einer angestellten, stillenden Zahnärztin habe die Klägerin nach dem neuen Mutterschutzgesetz vom 01.01.2018 stets dafür zu sorgen, dass eine Gefährdung für die Gesundheit der Mutter und des gestillten Kindes ausgeschlossen sei. Dies sei ausdrücklich im § 12 MuSchG (Unzulässige Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen für stillende Frauen) geregelt.
Bei der Ausübung des Zahnarztberufes könne der Kontakt mit Gefahrstoffen, Biostoffen (Viren, Bakterien, Pilze) und Strahlung nicht ausgeschlossen werden. Eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes einer angestellten Zahnärztin im Sinne des Gesundheitsschutzes in der Praxis sei in zumutbarer Weise nicht möglich. Dies werde im § 13 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG (Rangfolge der Schutzmaßnahmen: Umgestaltung von Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzwechsel und betriebliches Beschäftigungsverbot) eindeutig geregelt. Laut Gesetzgeber gebe es keine festgelegte Stilldauer eines Kindes nach Entbindung und damit auch keine zeitliche Begrenzung für das Beschäftigungsverbot, um den betrieblichen Gesundheitsschutz zu gewährleisten. Die von der Beklagten angegebenen 12 Monate Stillzeit nach der Entbindung bezögen sich auf die Stillpausen während der Arbeitszeit tagsüber. § 7 MuSchG sei für den Fa...