Rz. 14
Hauck, Geschlechtsangleichende medizinische Maßnahmen zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei Geschlechtsdysphorie, SGb 2024, 381.
Marburger, Auswirkungen des Präventionsgesetzes auf das Leistungswesen der gesetzlichen Krankenversicherung, Die Leistungen 2015, 617.
Schmidt, Das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – Wenig Licht und viel Schatten, NJW 2021, 1992.
Schneider, Das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention, SGb 2015, 599.
Rz. 15
Versicherte haben keinen Anspruch darauf, im Wege der Krankenbehandlung einen regelwidrigen Körperzustand zu erlangen:
BSG, Urteil v. 28.9.2010, B 1 KR 5/10 R.
Intersexuelle Versicherte haben keinen Anspruch auf operative Brustvergrößerung zur Angleichung ihres Erscheinungsbilds an das weibliche Geschlecht, wenn ihr Äußeres insoweit bereits einen unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich erreicht:
BSG, Urteil v. 4.3.2014, B 1 KR 69/12 R.
Ein von vollständigem Haarverlust (alopecia areata universalis) betroffener Mann kann von der Krankenkasse die Versorgung mit einer Perücke nur dann beanspruchen, wenn sein Aussehen objektiv als entstellend wirkend empfunden werden kann (Ergänzung zu BSG, Urteil v. 23.7.2002, B 3 KR 66/01 R, SozR 3-2500 § 33 Nr. 45). Dass die Kahlköpfigkeit bei Frauen einen Anspruch auf Versorgung mit einer Perücke regelmäßig auslöst, während dies bei Männern nur ausnahmsweise – und dann in jüngeren Jahren – der Fall sein kann, verstößt nicht gegen das Verbot geschlechtsspezifischer Ungleichbehandlung:
BSG, Urteil v. 22.4.2015, B 3 KR 3/14 R.
§ 2b erweitert nicht das von der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf der Grundlage des § 27 entwickelte Leistungsspektrum (streitgegenständlich: gesichtsfeminisierende Operation) bei Transsexualität:
SG Koblenz, Urteil v. 8.4.2021, S 1 KR 1781/19.
Eine nicht-binäre Person hat keinen Anspruch auf eine Mastektomie (operative Entfernung der Brust), da die Operation weder der Behandlung einer körperlichen Funktionsstörung dient noch als Leistung zur Behandlung einer transidentitären Geschlechtsidentitätsstörung in Betracht kommt. Ein Leistungsanspruch zur Angleichung des Körpers an die nicht-binäre Identität scheitert schon daran, dass kein Erscheinungsbild des phänotypisch angestrebten Geschlechts besteht:
LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 29.06.2022, L 5 KR 1811/21; im Ergebnis bestätigt in der Revison durch BSG, Urteil v. 19.10.2023, B 1 KR 16/22 R.
Ein Anspruch auf Kostenübernahme einer Kryokonservierung von Samenzellen besteht nicht, wenn die Konservierung aufgrund einer bevorstehenden Geschlechtsangleichung nur vorsorglich für einen zukünftigen Kinderwunsch erfolgen soll. Eine Transition stellt keine potenziell fertilitätsschädigende Medikation i. S. d. § 3 Abs. 1 KryoRL dar, weil bei einer Geschlechtsangleichung nicht potenziell noch Keimzellen vorhanden sind. Nach der Geschlechtsangleichung liegen vielmehr keinerlei Samenzellen mehr vor:
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 11.10.2023, L 4 KR 291/23; zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen durchBSG, Urteil v. 28.8.2024, B 1 KR 28/23 R (Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht, aber Terminbericht bereits auf der Website des BSG abrufbar):
Ein Anspruch des Klägers auf Kryokonservierung ergibt sich nicht aus § 27 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 und Satz 5. Sie soll und kann nicht dessen natürliche Zeugungsfähigkeit nach Durchführung geschlechtsangleichender Maßnahmen wiederherstellen. Eine zur Unfruchtbarkeit führende Geschlechtsangleichung von Mann zu Frau kann jedoch eine den Anspruch auf Kryokonservierung von Samenzellen begründende keimzellschädigende Therapie sein. Dem Anspruch des Klägers stand nicht entgegen, dass im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Kryokonservierung die Voraussetzungen einer künstlichen Befruchtung nach § 27a Abs. 1 noch nicht vorlagen. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass dies später noch möglich ist. Regelungssystem und -zweck gebieten es aber, dass nur solche Behandlungen einen Anspruch auf Kryokonservierung begründen, auf die die Versicherten nach dem SGB V einen Anspruch haben. Das ist bei geschlechtsangleichenden Behandlungen nach der jüngsten Rechtsprechung des Senats derzeit grundsätzlich nicht der Fall, weil es an der hierfür erforderlichen Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses fehlt. Ein Anspruch auf Kostenerstattung bei einer bereits durchgeführten Kryokonservierung nach einer durchgeführten Geschlechtsangleichung als bewilligte Kassenleistung kann jedoch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes bestehen.
Eine Transidentität bzw. Geschlechtsinkongruenz, bei der das eigene Geschlechtsempfinden nachhaltig in Widerspruch zu dem nach den Geschlechtsmerkmalen zugeordneten Geschlecht steht, stellt an sich keine "Krankheit" in Form eines behandlungsbedürftigen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes dar. Sie sieht für die Bestimmung des Umfangs der erforderlichen Behandlung aber den durch die Geschlechtsinkongruenz begründeten, klinisch-relevanten Leidensdruck ...