Rz. 15
Die durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz mit Wirkung zum 1.7.2008 neu eingefügte Regelung des Abs. 1 Satz 3 ermöglicht es den Landesverbänden der Pflegekassen und den zuständigen Trägern der Sozialhilfe, einvernehmlich durch eine Vereinbarung mit dem Träger der Pflegeeinrichtung von einer fristgebundenen Kündigung abzusehen, obgleich deren Voraussetzungen vorliegen. Allerdings kommt nach der Gesetzesbegründung eine solche Maßnahme nur in Betracht, wenn davon ausgegangen werden kann, dass bei entsprechender Anstrengung der Pflegeeinrichtung die Anforderungen des § 72 Abs. 3 Satz 1 wieder kontinuierlich erfüllt werden. Ob dies erwartet werden kann, hängt wesentlich von der Haltung und dem Willen der Pflegeeinrichtung ab, kündigungsrelevante Mängel dauerhaft abzustellen (vgl. BT-Drs. 16/7439 S. 68).
Die in Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und 2 getroffenen Regelungen räumen den Landesverbänden der Pflegekassen neben den nach § 115 Abs. 2 vorgesehenen Maßnahmen weitere Optionen ein, durch Vereinbarung auf die Beseitigung festgestellter Mängel hinzuwirken.
Rz. 16
Abs. 1 Satz 3 gibt beispielhaft 2 unterschiedliche Vereinbarungsoptionen in Form einer Mängelbeseitigungsvereinbarung (Nr. 1) und eines vorläufigen Versorgungsausschlusses (Nr. 2) vor, mittels derer einer Kündigungsmaßnahme begegnet werden kann. Ob beide oder aber nur eine der für den Abschluss einer Vereinbarung dort unter Nr. 1 und 2 angeführten Maßnahmen in Erwägung zu ziehen sind, ist Einzelfallfrage und hängt jeweils von der Individualsituation der betroffenen Pflegeeinrichtung und der gemeinsamen Einschätzung der Landesverbände der Pflegekassen und dem zuständigen Träger der Sozialhilfe ab. So kann z. B. nach der Gesetzesbegründung die Vereinbarung eines generellen zeitlich befristeten Belegungsstopps bzw. eines Verbots, die Pflege, Versorgung und Betreuung weiterer Pflegebedürftigen zu übernehmen, als Mittel in Betracht gezogen werden, um einerseits Risiken der Pflegebedürftigen zu begrenzen und andererseits den Willen der Pflegeeinrichtung zu stärken, den Veränderungsprozess zügig zu absolvieren oder eine Personalunterdeckung ohne sofortige Neueinstellungen auszugleichen (vgl. BT-Drs. 16/7439 S. 68).
Rz. 17
Mit dem Regelungsinstrument des Abs. 1 Satz 3 trägt der Gesetzgeber wohl auch mit Rücksicht auf die von einer Kündigung für die Pflegeeinrichtung stets ausgehende Grundrechtsbetroffenheit (Art. 12 und 14 GG) in besonderer Weise dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung, obgleich im Schrifttum wegen der Allgemeingültigkeit dieses Grundsatzes nicht zu Unrecht die generelle Notwendigkeit einer solchen Regelung infrage gestellt wird (vgl. Leitherer, in: KassKomm. SGB XI, Bd. 2, § 74 Rz. 10a).
Auf außerordentliche Kündigungen findet die Regelung des Abs. 1 Satz 3 unter Aufgabe der bislang hierzu gegenteilig vertretenen Auffassung keine Anwendung. Dies folgt aus der gesetzlichen Einbindung dieser Regelung in den ausschließlichen Regelungszusammenhang des Abs. 1 zur ordentlichen Kündigung. Im Übrigen ließe sich eine Vereinbarung i. S. d. Abs. 1 Satz 3 auch nicht mit der rechtlichen Annahme vereinbaren, dass in Fällen der außerordentlichen Kündigung nach Feststellung der einschlägigen Kündigungsvoraussetzungen für Ermessenserwägungen in aller Regel kein Raum mehr bleibt (vgl. Rz. 12). Hiervon unbenommen bleibt den Landesverbänden der Pflegekassen selbstverständlich auch im Anwendungsbereich des Abs. 2 stets die Möglichkeit, bei Zweifeln über das endgültige Vorliegen der hiernach maßgebenden Kündigungsvoraussetzungen zur Befriedung des Kündigungvorgangs mit der Pflegeeinrichtung – ggf. unter Erteilung von Auflagen – eine Vereinbarung zu schließen.