Bei einer Mehrheit von Tarifverträgen spricht man von Tarifpluralität, wenn in einem Betrieb auf die Arbeitsverhältnisse die Tarifverträge unterschiedlicher Tarifvertragsparteien Anwendung finden und sich ihr Geltungsbereich überschneidet.

Tarifpluralität entsteht dann, wenn die Arbeitnehmer eines Betriebes in unterschiedlichen Gewerkschaften organisiert sind.

 
Praxis-Beispiel

Tarifpluralität

In einem Betrieb sind sowohl die IG-Metall als auch die CGM (Christliche Gewerkschaft Metall) vertreten. Der Arbeitgeber hat mit beiden Gewerkschaften einen Firmentarifvertrag abgeschlossen. Für die IG-Metall-Mitglieder gilt der IG-Metall-Tarifvertrag; für die CGM-Mitglieder der CGM-Tarifvertrag.

Im Unternehmen der Deutschen Bahn haben sowohl die EVG als auch die GdL Tarifverträge abgeschlossen. Je nach Gewerkschaftszugehörigkeit gilt für die einen Mitarbeiter der EVG-Tarifvertrag, für die anderen der GdL-Tarifvertrag.

8.2.1 Bisherige Rechtsprechung zur Tarifpluralität

Jahrzehntelang ist die Rechtsprechung von dem Grundsatz ausgegangen, dass es in einem Betrieb nur einen Tarifvertrag geben könne (Grundsatz der Tarifeinheit).[1] Hintergrund der Anwendung dieses Grundsatzes war vor allem, dass die Anwendung mehrerer unterschiedlicher Tarifverträge in einem Betrieb zu administrativem Mehraufwand führt. Im Hinblick auf betriebliche Regelungen (Arbeitszeit, Arbeitssicherheit, Besetzungsregelungen, alternative Arbeitnehmervertretungen nach § 3 BetrVG) war eine gleichzeitige Anwendung mehrerer Tarifverträge auf unterschiedliche Arbeitnehmergruppen zumeist sogar unmöglich.

Im Jahr 2010 gab das BAG das Prinzip der Tarifeinheit für Fälle der Tarifpluralität ausdrücklich auf.[2] Die Konsequenz war, dass Arbeitgeber für verschiedene Mitarbeiter des Betriebs unterschiedliche Tarifverträge anwenden mussten, was zu einem gewissen bürokratischen Mehraufwand führte. Das Prinzip der Tarifeinheit galt allerdings weiterhin für betriebs- und betriebsverfassungsrechtliche Normen (z. B. Arbeitszeit, Arbeitssicherheit, Besetzungsregelungen, alternative Arbeitnehmervertretungen nach § 3 BetrVG). Gravierend waren die Folgewirkungen auf das Arbeitskampfrecht. Die Zeiten der Friedenspflicht liefen je nach Tarifvertrag unterschiedlich, der Arbeitgeber konnte einem nahezu ständigen Arbeitskampfrisiko ausgesetzt sein. Die Aufgabe des Prinzips stärkte die kleineren Spezialisten- und Spartengewerkschaften wie GdL, Cockpit, Marburger Bund weiter, da sie nunmehr nicht mehr befürchten mussten, dass der von ihnen erstreikte Tarifvertrag kraft Tarifeinheit nicht zur Anwendung kommt.

8.2.2 Gesetz zur Tarifeinheit

Um diese Entwicklung einzugrenzen verabschiedete der Deutsche Bundestag am 22.5.2015 das Gesetz zur Tarifeinheit. Seit 10.7.2015 regelt § 4a TVG die Folgen einer Tarifpluralität. In § 4a Abs. 2 TVG ist nunmehr der Ausgangspunkt eine Tarifkollision, die gesetzlich als eine Überschneidung der Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften definiert ist. Eine solche Tarifkollision soll zuvörderst durch die Tarifpartner selbst vermieden, bzw. gelöst werden. Durch die Bildung von Tarifgemeinschaften oder die schlichtweg einheitliche Verhandlung von Tarifverträgen können die Gewerkschaften die nur subsidiäre geltende Kollisionsregel nicht zur Anwendung kommen lassen.[1] Auch sind die Gewerkschaften angehalten, ihre Zuständigkeiten ohne Überscheidungen voneinander abzugrenzen oder verbandsinterne Schlichtungsverfahren zur Abgrenzung zu nutzen.

Liegt eine Tarifkollision vor, gilt in dem Betrieb nur der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft, die die meisten Mitglieder im betroffenen Betrieb hat (§ 4a Abs. 2 Satz 2 TVG). Dabei kann der Beweis dieser Mehrheit ausdrücklich auch durch öffentliche Urkunden (§ 58 Abs. 3 ArbGG), also durch notarielle Erklärung erbracht werden.

 
Praxis-Beispiel

Nachweis der Mehrheitsgewerkschaft

Zum Nachweis legt die Gewerkschaft einem Notar eine Liste vor, die angibt, welches Belegschaftsmitglied Mitglied der Gewerkschaft ist. Voraussichtlich ist die Liste um die Aufnahmeerklärungen oder Bestätigungen der Arbeitnehmer zu ergänzen. Der Notar bescheinigt dann, wie viele Mitglieder in dem Betrieb der Gewerkschaft angehören. Die Zahl kann dann mit der notariell bescheinigten Zahl einer anderen Gewerkschaft verglichen werden. Durch die notarielle Erklärung wird vermieden, dass der Arbeitgeber erfährt, welche Mitarbeiter Mitglied in einer Gewerkschaft sind.

Bezugspunkt für die Bestimmung der Mehrheitsverhältnisse ist der Betrieb (§ 4a Abs. 2 Satz 2 TVG). Dazu verweist das Gesetz auf den betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff einschließlich des gemeinsamen Betriebs und einen durch Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG gebildeten Betrieb. Das Gesetz erteilt damit eine Absage an einen Vergleich auf der Grundlage einer bestimmten Arbeitnehmergruppe (z. B. Lokführer, Piloten), die gemeinsam mit a...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Personal Office Platin enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge