Rz. 129

Die Kündigungserklärung ist dem Empfänger zugegangen, sobald sie so in seinen Machtbereich gelangt ist, dass er in verkehrsüblicher Weise die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Kündigungsschreiben erlangt und unter gewöhnlichen Umständen die Möglichkeit hat, vom Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen. 

Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten.

Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den "gewöhnlichen Verhältnissen" und den "Gepflogenheiten des Verkehrs" zu beurteilen. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war. Ihn trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, wird der Zugang durch solche – allein in seiner Person liegende – Gründe nicht ausgeschlossen.[1]

Nicht erforderlich ist daher, dass der Empfänger den Inhalt des Kündigungsschreibens tatsächlich zur Kenntnis nimmt.

 

Rz. 130

Bei gewöhnlichen Briefsendungen bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten. Nicht beanstandet hat das BAG bislang die Annahme einer Verkehrsanschauung, wonach bei Hausbriefkästen im Allgemeinen mit einer Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen sei, die allerdings stark variieren können. Hierbei handele es sich gerade nicht um unbeachtliche individuelle Verhältnisse des Empfängers. Zutreffend stellt das BAG darauf ab, dass die Feststellung einer Verkehrsanschauung Angelegenheit der Tatgerichte ist und sich mitunter gar regional unterscheiden kann.[2]

 

Beispiele

  • Am Nachmittag eingeworfene Schreiben gehen noch am selben Tag zu, wenn der Arbeitgeber den Zugang der Kündigung für diesen Tag angekündigt hat.[3]
  • Am Abend nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten oder am Sonntag/Feiertag eingeworfene Schreiben gehen regelmäßig erst nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten am nächsten Werktag zu.
  • Für nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten eingeworfene Schreiben gilt dies auch dann, wenn der Arbeitnehmer alleinstehend und berufstätig ist.[4] Hierbei handelt es sich lediglich um unbeachtliche individuelle Verhältnisse des Arbeitnehmers.
 

Rz. 131

Bei postlagernden Sendungen kommt es für den Zugang darauf an, wann nach der Verkehrsanschauung mit einer Abholung gerechnet werden kann. Dies wird üblicherweise der nächste Tag sein, zu dem das Postgebäude für den Publikumsverkehr geöffnet ist.[5]

 

Rz. 132

Streitig ist, ob beim Einwurf-Einschreiben der Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, dass die Sendung zugegangen ist.[6] Das wird zunehmend bejaht, wenn der Kündigende den Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Auslieferungsbelegs vorlegen kann, die er auf Wunsch – neben der telefonischen Auskunft – erhält.[7] Unter diesen Voraussetzungen hat der BGH das Einwurf-Einschreiben als "eingeschriebenen Brief" im Sinne von § 21 Abs. 1 Satz 2 GmbHG akzeptiert.[8]

[1] BAG, Urteil v. 22.8.2019, 2 AZR 111/19; BAG, Urteil v. 25.4.2018, 2 AZR 492/17.
[2] BAG, Urteil v. 22.8.2019, 2 AZR 111/19.
[3] BAG, Versäumnisurteil v. 26.3.2015, 2 AZR 483/14.
[4] A. A. HaKo-KSchG/Mestwerdt, Einleitung Rz. 38.
[5] HaKo-KSchG/Mestwerdt, Einleitung Rz. 39.
[6] Übersicht über die Rechtsprechung bei Karcher/Mengestu, DB 2021, 561 ff.; ablehnend z. B. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 17.9.2019, 8 Sa 57/19; ArbG Düsseldorf, Urteil v. 22.2.2019, 14 Ca 465/19.

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