Rz. 419

Der Arbeitnehmer kann mündliche und schriftliche Abmahnungen gerichtlich überprüfen lassen, ohne dass er hierzu verpflichtet wäre. Die Wirksamkeit einer Kündigung hängt nicht von der Beseitigung einer vorangegangenen Abmahnung ab, vielmehr ist im Kündigungsschutzprozess unabhängig davon zu prüfen, ob die in einer Abmahnung enthaltenen Vorwürfe tatsächlich gerechtfertigt sind.[1]

Der Arbeitnehmer kann die Entfernung einer inhaltlich und formell wirksam erteilten Abmahnung aus der Personalakte nur dann verlangen, wenn das gerügte Verhalten für das Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht bedeutungslos geworden ist.[2] Das dürfte sich allenfalls in Einzelfällen ergeben, denn eine Abmahnung kann für eine spätere Interessenabwägung auch dann noch Bedeutung haben, wenn sie ihre kündigungsrechtliche Warnfunktion verloren hat. So kann in die Interessenabwägung bei einer verhaltensbedingten Kündigung ein zuvor nicht störungsfreier Verlauf des Arbeitsverhältnisses einzubeziehen sein. Eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung im Vertrauensbereich ist regelmäßig eine erhebliche Zeit von Bedeutung.[3]

Eine Klage auf Entfernung einer Abmahnung kann kontraproduktiv sein, wenn das Gericht die Rechtmäßigkeit der Abmahnung rechtskräftig feststellt und die Klage damit abweist. In diesem Falle ist für einen später folgenden Kündigungsschutzprozess zulasten des Arbeitnehmers der in der Abmahnung enthaltene Verhaltensverstoß festgestellt. Dem Arbeitgeber ist bei einer "zeitnahen" Klage gegen die Abmahnung die Darlegung und Beweisführung bezüglich des von ihm zu beweisenden abgemahnten Verhaltens im Normalfall auch leichter möglich als bei einem späteren Kündigungsschutzprozess (zu der Möglichkeit einer Gegendarstellung vgl. auch Rz. 413).

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht i. d. R. kein Entfernungsanspruch mehr, da eine weitere Gefährdung der Rechtsstellung des Arbeitnehmers nicht zu befürchten ist. Ausnahmen, für die der Arbeitnehmer darlegungs- und beweisverpflichtet ist, können sich nur dann ergeben, wenn z. B. eine Wiedereinstellung in Betracht kommt, die Abmahnung noch Einfluss auf den Zeugnisinhalt haben kann oder der Arbeitgeber Dritten gegenüber auch Auskünfte über die Abmahnung erteilt.[4] Solche Besonderheiten bestehen z. B. im öffentlichen Dienst, wo der Arbeitnehmer häufig einer Einsicht seines neuen Arbeitgebers in die bisherigen Personalakten zustimmen muss, damit ihm keine Nachteile entstehen.

 

Rz. 420

Auch nach der erfolgreichen Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte ist der Arbeitnehmer nicht gehindert, ggf. noch einen Anspruch auf Widerruf der in der Abmahnung abgegebenen Erklärung gerichtlich geltend zu machen, wenn die Rechtsbeeinträchtigung andauert und durch Widerruf beseitigt werden kann.[5]

 

Beispiel

Durch das betriebsinterne Bekanntwerden der in der – aus der Personalakte bereits entfernten – Abmahnung enthaltenen Vorwürfe ist das Ansehen in der Belegschaft weiterhin beeinträchtigt.

 

Rz. 421

Eine Frist zur gerichtlichen Geltendmachung des Entfernungsanspruchs ist nicht einzuhalten; insbesondere gilt die 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG nicht. Auch tarifliche Ausschlussfristen sind nicht anwendbar, da eine unberechtigte Abmahnung eine fortwirkende Beeinträchtigung der beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers bewirkt[6] zu § 70 BAT).

 

Rz. 422

Als Anspruchsgrundlage für die Beseitigung einer schriftlichen Abmahnung aus der Personalakte kommen §§ 242 BGB, 1004 BGB analog in Betracht. Ein Anspruch besteht dann, wenn die Abmahnung zu Unrecht erteilt wurde, da sie den Arbeitnehmer dann in seinem beruflichen Fortkommen und damit in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt.[7]

 

Rz. 423

Der Entfernungsanspruch besteht insbesondere, wenn die Abmahnung unbegründet ist, weil sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält. Unrichtige Tatsachenbehauptungen, die geeignet sind, das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers zu beeinträchtigen, stellen einen objektiv rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers dar.[8] Erweisen sich nicht alle in einer Abmahnung enthaltenen Vorwürfe als zutreffend, muss sie insgesamt aus der Personalakte entfernt werden. Soweit Vorwürfe in der Abmahnung aber zutreffen, behalten sie als mündliche Abmahnung ihre Wirkung.[9]

 

Rz. 424

Eine Abmahnung ist auch zu entfernen, wenn sie unverhältnismäßig ist. Auch bei der Abmahnung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, welcher als Übermaßverbot zur Vermeidung von schwerwiegenden Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Rechtsverstößen verstanden wird.[10] Die Abmahnung einzelner Bagatellverstöße kann insoweit gegen das Übermaßverbot verstoßen. Andererseits kommt es hierfür nicht darauf an, ob das abgemahnte Fehlverhalten für eine Kündigung im Wiederholungsfall ausreichen würde.[11] Eine Abmahnung ist daher nicht allein deswegen unzulässig, weil der Arbeitgeber auch über den erhobenen Vorwurf hinwegsehen könnte.

 

Beispiel

Ein freigestelltes Betriebsratsmitglied verteilt während der Arbeitszeit Gew...

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