Cesare Vannucchi, Dr. Brigitta Liebscher
Rz. 579
Eine Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers, die auf einer Straf- oder Untersuchungshaft beruht, kann ein Grund für eine personenbedingte Kündigung sein.
Wird ein Arbeitnehmer zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, kann er im geschlossenen Vollzug seine Arbeitsleistung nicht mehr erbringen.
Dasselbe gilt bei Anordnung von Untersuchungshaft, wobei deren grds. vorübergehender Charakter und die fortbestehende Unschuldsvermutung vor einer rechtskräftigen Verurteilung zu berücksichtigen sind.
In beiden Fällen hängt die Rechtfertigung einer personenbedingten Kündigung davon ab, ob der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein wird, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen. Weiterhin muss sich die Nichterfüllung nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Mangels Lohnzahlungspflicht bei haftbedingter Arbeitsunfähigkeit (§§ 616 Satz 1, 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB) hängt es von Dauer, Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen ab, ob die Inhaftierung als Kündigungsgrund geeignet ist.
Schließlich bedarf es einer Interessenabwägung im Einzelfall, ob dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen das Abwarten bis zum Wegfall des Hinderungsgrundes zumutbar ist. Ist zum Zeitpunkt der Kündigung noch eine Haftstrafe von mehr als 2 Jahren zu verbüßen, kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten. Bei zunehmender Haftdauer wird auch die Verwirklichung des Vertragszwecks infrage gestellt. Denn bei mehrjähriger Abwesenheit des Arbeitnehmers lockern sich typischerweise die Bindungen zum Betrieb sowie zur Belegschaft und Erfahrungswissen, das aus der täglichen Routine resultiert, geht verloren. Daher muss der Arbeitgeber nach Rückkehr eines langjährig inhaftierten Arbeitnehmers mit Aufwand zur erneuten Einarbeitung rechnen.
Bei der Frage nach den Überbrückungsmöglichkeiten – etwa durch eine befristete Einstellung einer Ersatzkraft – sind dem Arbeitgeber nicht die gleichen Anstrengungen zuzumuten, wie etwa bei einer krankheitsbedingten Kündigung, weil der Arbeitnehmer im Falle einer Strafhaft die Arbeitsverhinderung zu vertreten hat.
Rz. 580
Eine durch den Arbeitnehmer im Privatbereich begangene Straftat rechtfertigt keine Kündigung des Arbeitsverhältnisses, wenn sie keine betrieblichen Auswirkungen hat.
Betrieblich kann sich z. B. eine private Trunkenheitsfahrt eines Berufskraftfahrers auswirken oder ein Vermögens-/Eigentumsdelikt eines Arbeitnehmers in einem anderen Betrieb des Arbeitgebers, wenn dem Arbeitnehmer Vermögenswerte des Arbeitgebers anvertraut sind. Weitere Fälle sind Drogendelikte von im Erziehungsbereich tätigen Arbeitnehmern oder Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung Jugendlicher bei Arbeitnehmern, die Kinder oder Jugendliche betreuen oder sonst in beruflichen Kontakt zu ihnen kommen. Soweit in diesen Fällen nicht bereits verhaltensbedingte Gründe vorliegen, kann eine personenbedingte Kündigung gerechtfertigt sein.
Rz. 581
Eine strafrechtliche Verurteilung rechtfertigt eine personenbedingte Kündigung, wenn die Verurteilung an sich die betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigt, etwa bei einer Straftat gegen einen Arbeitskollegen oder bei einer Steuerhinterziehung durch einen Angestellten der Finanzverwaltung.
Für nicht hoheitlich tätige Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes gelten keine weitergehenden vertraglichen Nebenpflichten als für alle Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft. Außerdienstlich begangene Straftaten können hier nur dann eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn diese Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers begründen.