Rz. 582

Die häufigsten personenbedingten Kündigungen werden in der Praxis wegen Erkrankung des Arbeitnehmers ausgesprochen, die die Eignung zur Erbringung der Arbeitsleistung einschränkt oder gänzlich unmöglich macht.

 

Rz. 583

Krankheit im medizinischen Sinne ist ein regelwidriger Körper- und/oder Geisteszustand, der einer Heilbehandlung bedarf.[1] Die Ursache der Erkrankung ist dabei ohne Bedeutung, womit auch Suchterkrankungen eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen können. Arbeitsrechtlich bedeutsam ist der medizinische Krankheitsbefund nur dann, wenn der Arbeitnehmer dadurch in der Leistung der geschuldeten Tätigkeit beeinträchtigt wird.

Nach der Rechtsprechung des EuGH[2] ist der Begriff der Behinderung nicht mit dem Begriff der Krankheit gleichzusetzen. Eine Krankheit als solche kann daher nicht als ein weiterer Grund neben der Behinderung angesehen werden, der den Diskriminierungsschutz der Richtlinie 2000/78/EG des Rats v. 27.11.2000[3] auslöst.

Allerdings soll eine Krankheit unter den Begriff "Behinderung" i. S. d. Richtlinie 2000/78 fallen, wenn sie eine Einschränkung mit sich bringt, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben hindern können, und wenn diese Einschränkung von langer Dauer ist.[4]

 

Rz. 584

Krankheit als solche ist kein Kündigungsgrund, auch nicht die in der Vergangenheit aufgetretenen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten. Denn die krankheitsbedingte Kündigung ist keine Sanktion für entstandene Fehlzeiten. Deshalb steht grds. auch einer Kündigung während einer Arbeitsunfähigkeit nichts entgegen. Ein insoweit treuwidriges und damit gegen § 242 BGB verstoßendes Verhalten des Arbeitgebers wird sich nur in besonderen Ausnahmefällen begründen lassen.

 

Rz. 585

Bei der krankheitsbedingten Kündigung sind folgende Fallgruppen zu unterscheiden:

  • häufige Kurzerkrankungen,
  • lang andauernde krankheitsbedingte Leistungsunfähigkeit,
  • krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit,
  • krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit.
 

Rz. 586

Da Krankheit an sich kein Kündigungsgrund ist, kann eine Kündigung nicht lediglich darauf gestützt werden, dass ein ärztliches Attest eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit bescheinigt. Vielmehr muss die begründete Besorgnis bestehen, dass in der Zukunft erhebliche Störungen des Austauschverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung aufgrund der Krankheit entstehen werden. Die Beeinträchtigung betrieblicher Interessen muss der Arbeitgeber darlegen und bei Bestreiten auch beweisen.

[2] EuGH, Urteil v. 11.4.2013, C-335/11, C-337/11, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 28.
[3] Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303 S. 16), in deutsches Recht umgesetzt in dem Verbot der Benachteiligung aus Gründen einer Behinderung in § 1 AGG.

3.1.5.11.1 Betriebliches Eingliederungsmanagement

 

Rz. 587

Wie im Rahmen jeder Kündigung ist auch bei der krankheitsbedingten Kündigung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen, d. h., danach zu fragen, ob sie durch andere, mildere Mittel vermieden werden kann. Solche Maßnahmen können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung auf einem anderem, dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers entsprechenden Arbeitsplatz sein. Es kann sich auch die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung zu ermöglichen, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn dadurch künftige Fehlzeiten ausgeschlossen oder signifikant verringert werden könnten.[1]

 

Rz. 588

Hierbei ist auch von Bedeutung, ob der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) (§ 167 Abs. 2 SGB IX) durchgeführt hat. Eine Pflicht hierzu besteht dann, wenn innerhalb eines Jahres Arbeitsunfähigkeit von mehr als 6 Wochen, ununterbrochen oder wiederholt, vorliegt. Das Erfordernis eines BEM gilt für alle Arbeitnehmer und nicht nur für schwerbehinderte Menschen, denn in § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist von Beschäftigten und von schwerbehinderten Menschen die Rede. Krankheitsbedingte Kündigungen sollen bei allen Arbeitnehmern und nicht nur bei schwerbehinderten Menschen durch das BEM verhindert werden.[2] Außerdem ist ein BEM auch dann durchzuführen, wenn keine Interessenvertretung nach § 176 SGB IX existiert.[3]

Die in § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX genannte Jahresfrist ist nicht auf das Kalenderjahr beschränkt. Vielmehr ist ab Beginn des ersten maßgeblichen Arbeitsunfähigkeitszeitraums an zu rechnen. Erkrankt der Arbeitnehmer nach Abschluss eines BEM erneut arbeitsunfähig innerhalb eines Jahres für mehr als 6 Wochen, ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, erneut ein BEM durchzuführen. Diese Verpf...

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