Rz. 596

Als "häufige Kurzerkrankungen" werden Ausfallzeiten verstanden, die jeweils von kürzerer Dauer sind, sich jedoch häufig wiederholen und dabei keinem vorhersehbaren Muster unterliegen. Hierbei kann es sich ebenso um zahlreiche eintägige Fehlzeiten wie um mehrwöchige Ausfallzeiten, die im Kalenderjahr häufiger auftreten, oder um Mischformen handeln. Kündigungsgrund ist dabei nicht die Erkrankung als solche, sondern die negative Gesundheitsprognose und eine daraus resultierende erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen.[1] Nach st. Rspr. des BAG[2] ist die Wirksamkeit der Kündigung in 3 Stufen zu prüfen:

 

Rz. 597

1. Stufe (negative Prognose): Zunächst ist auf der 1. Stufe eine negative Prognose hinsichtlich des Gesundheitszustands des Arbeitnehmers erforderlich. Aufgrund objektiver Tatsachen muss zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs die Besorgnis bestehen, dass auch nach dem Beendigungszeitpunkt mit weiteren krankheitsbedingten Störungen des Austauschverhältnisses im bisherigen Umfang zu rechnen ist.[3] Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können als Indiz für die zukünftige Entwicklung sprechen. Auf Basis der Dauer und Häufigkeit der bisherigen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten kann der Arbeitgeber zunächst behaupten, auch in der Zukunft würden Arbeitsunfähigkeitszeiten bisherigen Ausmaßes auftreten. Eine andere Möglichkeit der Darlegung hat der Arbeitgeber regelmäßig nicht, weil er häufig keine Kenntnis von Diagnose und Krankheitsursache hat.

Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, Ermittlungen über die Arbeitsunfähigkeitsursachen aufzunehmen.[4]

 
Hinweis

Führt der Arbeitgeber formalisierte Kranken(rückkehr)gespräche durch und besteht im Betrieb ein Betriebsrat, sind dessen Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu beachten. Der Arbeitnehmer ist im Rahmen solcher Gespräche nicht zur Auskunft über die Diagnose seiner Erkrankung(en) verpflichtet.

 

Rz. 598

Eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers außerhalb der prozessualen Regeln von Darlegungs- und Beweislast besteht nicht. Deshalb ist der Arbeitnehmer auch außerhalb von formalisierten Gesprächen nicht verpflichtet, Auskunft über seine Erkrankung, deren Ursache, Verlauf und Dauer zu geben.[5]

 

Rz. 599

Sonderregelungen bestehen nach § 275 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3b SGB V, wonach sich eine Verpflichtung des Arbeitnehmers ergeben kann, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Denn nach dieser Norm sind die Krankenkassen, wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung einzuholen.

 

Rz. 600

Bei Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst kann eine Pflicht bestehen, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 TVöD ist der Arbeitgeber bei begründeter Veranlassung berechtigt, Beschäftigte zu verpflichten, durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass sie zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage sind.

 

Rz. 601

Die Darlegungslast des Arbeitgebers für den Kündigungsgrund ergibt sich auch bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen aus § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG. Nach den Grundsätzen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast stellen jedoch krankheitsbedingte Fehlzeiten in der Vergangenheit zunächst ein Indiz für die Gefahr entsprechender künftiger Erkrankungen dar. Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der 1. Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten.[6]

Eine Indizwirkung früherer Fehlzeiten muss auf einem ausreichend prognosefähigen Zeitraum basieren, wobei eine Einzelfallprüfung ohne starre Zeiträume vorzunehmen ist.[7] Regelmäßig dürfte eine Zeitspanne von 2 bis 3 Jahren eine sichere Prognose zulassen.[8] Allerdings greift gerade bei häufigen Kurzerkrankungen – losgelöst vom jeweiligen Krankheitsbild – eine schematische Betrachtung zu kurz.[9] Die Indizwirkung entfällt, wenn mangels entsprechender Fehlzeiten eine negative Prognose nicht belegt werden kann. Dann muss der Arbeitgeber den Beweis der negativen Prognose auf andere Weise führen, etwa durch Sachverständigengutachten.[10]

 

Rz. 602

Hat der Arbeitgeber die negative Prognose dargelegt, obliegt es dem Arbeitnehmer, diese zu entkräften, indem er Tatsachen vorträgt, die den Schluss zulassen, er werde künftig nicht mehr oder nicht mehr im bisherigen Umfang krankheitsbedingt fehlen.[11] Der Arbeitnehmer genügt seiner prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, seine behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und er die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet.[12] Auch für die Entkräftung der negativen Prognose ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen.

Trägt der Arbeitnehmer nichts vor oder beruft er s...

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