Cesare Vannucchi, Dr. Brigitta Liebscher
Rz. 808
Aus dem auswahlrelevanten Personenkreis scheiden – trotz im Übrigen bestehender Vergleichbarkeit – solche Arbeitnehmer aus, bei denen eine ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung aufgrund des Gesetzes ausgeschlossen ist. Gesetzliche Kündigungsverbote gehen dem allgemeinen Kündigungsschutz als spezialgesetzliche Regelungen vor.
Zu diesen Arbeitnehmern gehören unter anderem die betriebsverfassungsrechtlichen Funktionsträger (§ 15 KSchG), schwangere und entbundene Arbeitnehmerinnen bis zu 4 Monate nach der Geburt (§ 17 MuSchG), Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Elternzeit (§ 18 BEEG), freiwillig Wehrdienstleistende (§§ 2, 10 ArbPlSchG; § 2 EignungsübungsG) sowie Schwerbehinderte (§§ 168 ff. SGB IX; vgl. Rz. 845 ff.). Bestand früher auch für Zivildienstleistende ein gesetzliches Kündigungsverbot in § 78 Abs. 1 Nr. 1 ZDG, so ist dies nach der Einführung des Bundesfreiwilligendienstes nicht mehr der Fall. Der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung zu bilden. Arbeitnehmer, denen gegenüber eine ordentliche Kündigung in diesem Zeitpunkt aufgrund von Vorschriften des Sonderkündigungsschutzes ausgeschlossen ist, sind in diesen Personenkreis nicht einzubeziehen, auch wenn bereits absehbar ist, dass dieser Kündigungsschutz in naher Zukunft wegfällt.
Vergleichbar sind außerdem befristet beschäftigte Arbeitnehmer, die nicht ordentlich kündbar sind, sondern deren Arbeitsverhältnis grundsätzlich mit Ablauf der vereinbarten Zeit endet, § 15 Abs. 1 TzBfG. Sie sind nach allgemeiner Auffassung nur dann in die Sozialauswahl einzubeziehen, wenn das Arbeitsverhältnis kraft arbeits- oder tarifvertraglicher Vereinbarung nach § 15 Abs. 3 TzBfG während der Vertragslaufzeit ordentlich gekündigt werden kann.
Nach Ansicht des LAG Berlin Brandenburg ist es für den Arbeitgeber aber auch nicht zumutbar, einen ordentlich kündbaren, befristet beschäftigten Arbeitnehmer in die Sozialauswahl einzubeziehen, wenn zwar die übrigen (weniger schutzbedürftigen) Arbeitnehmer noch ein weiteres Jahr beschäftigt werden sollen, das Arbeitsverhältnis des betreffenden Arbeitnehmers jedoch ohnehin einen Monat nach Ablauf der Kündigungsfrist ausgelaufen wäre.
Rz. 809
Viele Tarifverträge schließen zudem die ordentliche Kündbarkeit für Arbeitnehmer ab einem bestimmten Lebensalter aus. Die Regelungen sind zuweilen überaus großzügig: § 43.2 des Manteltarifvertrags Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg bestimmt z. B., dass Arbeitnehmer ab Vollendung des 53. Lebensjahres und einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 10 Jahren ausnahmslos ordentlich unkündbar sind. Die Einbeziehung von tarifvertraglich unkündbaren Arbeitnehmern in die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist umstritten. Nach der h. M. im Schrifttum sind Arbeitnehmer, deren ordentliche Kündbarkeit aufgrund einzel- oder tarifvertraglicher Vereinbarung ausgeschlossen ist, nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen.
Rz. 810
Ein großzügiger Maßstab ist hier angebracht. Wenn die Tarifvertragsparteien nach § 1 Abs. 4 KSchG in Tarifverträgen festlegen können, wie die sozialen Gesichtspunkte zueinander zu gewichten sind, und wenn in diesen Fällen die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann, muss es den Tarifvertragsparteien im Grundsatz auch zustehen, die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung und damit die Notwendigkeit einer Sozialauswahl zu beseitigen. Derartige Unkündbarkeitsregelungen verstoßen so lange nicht gegen die zwingende Norm des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, als dadurch die Grundsätze über die Sozialauswahl nicht auf den Kopf gestellt werden, also die Voraussetzungen für die Unkündbarkeit jede Ausgewogenheit im Verhältnis zu den Grundsätzen der Sozialauswahl vermissen lassen.
Rz. 811
In einem obiter dictum hat das BAG zu tariflichen Unkündbarkeitsregelungen Stellung bezogen und sie grds. für zulässig erklärt. In Extremfällen ist allerdings zu erwägen, die tariflichen Regelungen im Hinblick auf die Grundrechte des ordentlich kündbaren Arbeitnehmers verfassungskonform bzw. im Hinblick auf die Regelungen zur Altersdiskriminierung gemeinschaftskonform einzuschränken bzw. für den Einzelfall durch einen ungeschriebenen Ausnahmetatbestand innerhalb der Tarifnorm anzupassen. Denn die Grenze zulässiger Unkündbarkeitsregelungen liegt in Anlehnung an § 10 Satz 3 Nr. 7 AGG a. F. dort, wo die Fehlgewichtung durch den durch die ordentliche Unkündbarkeit eingeschränkten Auswahlpool zu einer grob fehlerhaften Auswahl führen würde. Bereits vorher hatte das BAG eine Korrektur in Extremfällen angedeutet.