Rz. 820

Der Arbeitgeber kann gemeinsam mit dem Betriebsrat Auswahlrichtlinien für die Sozialauswahl erstellen. Diese bedürfen nach § 95 Abs. 1 Satz 1 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats. Auswahlrichtlinien sind nach der Rechtsprechung des BAG Grundsätze, die zu berücksichtigen sind, wenn bei beabsichtigten personellen Einzelmaßnahmen, für die mehrere Arbeitnehmer oder Bewerber in Betracht kommen, zu entscheiden ist, welchen gegenüber sie vorgenommen werden sollen. Durch die Festlegung der Voraussetzungen für personelle Maßnahmen soll die jeweilige Personalentscheidung versachlicht und durchschaubar gemacht werden. Der Arbeitnehmer soll erkennen können, warum ihn und nicht einen anderen die Personalmaßnahme trifft. Die Auswahlentscheidung bleibt nichtsdestotrotz dem Arbeitgeber überlassen, die Richtlinie soll durch die Aufstellung von Entscheidungskriterien lediglich seinen Ermessensspielraum einschränken, ohne ihn völlig zu beseitigen.[1] Diesen Anforderungen genügt eine Auswahlrichtlinie i. S. d. § 95 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, wenn sie abstrakt-generelle Grundsätze definiert, die eine Gewichtung der entscheidungsrelevanten fachlichen, persönlichen oder sozialen Gesichtspunkte vornehmen.[2]

 
Hinweis

Auswahlrichtlinien, die in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat erstellt wurden, bieten dem Arbeitgeber hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl eine gesteigerte Sicherheit in Bezug auf die Auswahlentscheidung. Nach § 1 Abs. 4 KSchG kann die Bewertung der sozialen Gesichtspunkte untereinander in einem solchen Fall nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.[3] Gleichwohl ist für das Kündigungsschutzverfahren nicht die Einhaltung einer Auswahlrichtlinie, sondern vielmehr die Fehlerfreiheit der Auswahlentscheidung selbst maßgebend: Die vom Arbeitgeber – zusammen mit dem Betriebsrat – getroffene Auswahl ist nur dann grob fehlerhaft i. S. d. § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG, wenn sich ihr Ergebnis als grob fehlerhaft erweist. Ein mangelhaftes Auswahlverfahren kann zu einem richtigen – nicht grob fehlerhaften – Auswahlergebnis führen.[4]

 

Rz. 821

Die Anforderungen des BetrVG gelten grds. auch für Auswahlrichtlinien, die die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen betreffen.[5] Trotz der Enumeration der maßgeblichen Kriterien für die Sozialauswahl in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG verbleibt den Betriebsparteien zumindest hinsichtlich der Gewichtung dieser Gesichtspunkte ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum. Dies kommt auch in § 1 Abs. 4 KSchG zum Ausdruck, wonach unter anderem in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 BetrVG festgelegt werden kann, wie die sozialen Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG im Verhältnis zueinander zu gewichten sind. Nichtsdestotrotz können Auswahlrichtlinien nach § 95 BetrVG die gesetzlichen Mindestanforderungen an die Sozialauswahl nicht verdrängen: Im Rahmen des Beurteilungsspielraums können zwar Erfahrungen der Betriebspartner in Bezug auf die Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern bestimmter Arbeitsplätze einfließen, nicht aber von vornherein Arbeitnehmer bestimmter Abteilungen oder Arbeitsgruppen ohne ausreichende sachliche Kriterien als nicht vergleichbar eingestuft werden. Eine derartige entpersonalisierte Gruppenbildung ist unzulässig (s. auch die Ausführungen zu den sog. Punkteschemata in Rz. 866 ff.).[6]

[1] BAG, Urteil v. 10.12.2002, 1 ABR 27/01, BAGE 104, 187, 198; AP BetrVG 1972 § 95 Nr. 42.
[2] GK-BetrVG/Raab, § 95 BetrVG Rz. 14.
[3] S. auch die Entscheidung des BAG zu der parallelen Problematik bei § 125 InsO: BAG, Urteil v. 28.8.2003, 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432.
[5] Richardi/Thüsing, BetrVG, § 95 BetrVG Rz. 38.
[6] Vgl. zu Auswahlrichtlinien auch BAG, Urteil v. 11.3.1976, 2 AZR 43/75, AP BetrVG 1975 § 95 Nr. 1 sowie ferner BAG, Urteil v. 20.10.1983, 2 AZR 211/82, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 13.

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