Rz. 958

Weitere Voraussetzung für die Anwendung des § 1 Abs. 5 KSchG ist ein nicht erzwingbarer Interessenausgleich über eine Betriebsänderung. Liegt keine Betriebsänderung vor, so können die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG nach h. M. nicht durch einen "freiwilligen" Interessenausgleich außerhalb der §§ 111, 112 BetrVG herbeigeführt werden.[1] Der Interessenausgleich muss im Übrigen selbstverständlich wirksam sein. Die Wirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG treten nur ein, wenn die der Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung vollumfänglich Gegenstand einer Verständigung der Betriebsparteien im Sinne von §§ 111 Sätze 1, 112 BetrVG ist. Ein Interessenausgleich nur über Teile der Betriebsänderung reicht nicht aus.[2]

 

Rz. 959

Der Arbeitgeber muss den Interessenausgleich daher mit dem zuständigen Betriebsrat verhandeln; zuständig ist grds. der örtliche Betriebsrat. Betrifft eine Betriebsänderung, die auf Grundlage eines einheitlichen Konzepts durchgeführt wird, jedoch mehrere Betriebe eines Unternehmens, so ergibt sich aus § 50 Abs. 1 BetrVG die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats hinsichtlich des Interessenausgleichs. In diesem Fall ist der Gesamtbetriebsrat (und nicht etwa die örtlichen Betriebsräte) auch für die Vereinbarung der Namensliste zuständig.[3]

 

Rz. 960

Der Interessenausgleich darf nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Die Entscheidung eines Arbeitgebers, keine Sekretäre und Assistenten mehr in Teilzeit zu beschäftigen, stellt z. B. kein dringendes betriebliches Erfordernis i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG dar. Ein Interessenausgleich, der ohne sachliche Rechtfertigung die Entfernung von Teilzeitbeschäftigten aus dem Unternehmen zum Gegenstand hat, verstößt daher gegen § 4 Abs. 1 TzBfG und ist nichtig. Eine entsprechende Namensliste entfaltet folglich keine Vermutungswirkung i. S. v. § 1 Abs. 5 KSchG.[4]

 

Rz. 961

Der Interessenausgleich bedarf der Schriftform (§§ 125, 126 BGB) und ist von beiden Parteien zu unterzeichnen (§ 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Ist der Interessenausgleich vor einer Einigungsstelle abgeschlossen worden, so muss er außerdem vom Vorsitzenden dieser Einigungsstelle unterschrieben werden; dies ist ebenfalls eine Wirksamkeitsvoraussetzung (§ 112 Abs. 3 Satz 3 BetrVG).

 

Rz. 962

Der Interessenausgleich muss vor Ausspruch der Kündigungen abgeschlossen werden. Er kann allerdings auch noch nachträglich – spätestens bis zum Ausspruch der Kündigung – um eine Namensliste ergänzt werden.[5]

 
Wichtig

Ein "reiwilliger" Interessenausgleich außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 111, 112 BetrVG ermöglicht nach h. M. nicht den Rückgriff auf eine Namensliste i. S. d. § 1 Abs. 5 KSchG.[6]

Ein "Sozialplan" kann dagegen eine Namensliste i. S. d. § 1 Abs. 5 KSchG umfassen, sofern er gleichzeitig Regelungen über das Ob und Wie einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG enthält und sich damit faktisch als Interessenausgleich darstellt.[7] Eine Namensliste kann nicht mittels eines Spruchs der Einigungsstelle erzwungen werden.

[1] HWK/Quecke, Arbeitsrecht, § 1 KSchG Rz. 420; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 180; Hohenstatt, NZA 1998, 846, 851; Gaul, BB 2004, 2686, 2687.
[2] BAG, Urteil v. 17.3.2016, 2 AZR 182/15, NZA 2016, 1072.
[4] LAG Köln, Urteil v. 31.3.2006, 11 Sa 1627/05.
[5] APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 714; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 361.
[6] ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 360a; Kothe, BB 1998, 946, 949; Hohenstatt, NZA 1998, 846, 851; a. A. Bauer/Krieger, Kündigungsrecht-Reformen, 2004, Rz. 71a.
[7] ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 360a; Thüsing/Wege, BB 2005, 213; Fischermeier, NZA 1997, 1089, 1097.

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