Prof. Dr. Mark Lembke, Dr. Jens-Wilhelm Oberwinter
Rz. 129
§ 17 Abs. 3 Sätze 2 bis 4 KSchG beschreibt den Pflichtinhalt der Massenentlassungsanzeige, der für ihre Wirksamkeit zwingend erforderlich ist, insbesondere die sog. "Muss-Angaben" (Satz 4). Satz 5 regelt hingegen "Soll-Angaben", die für die Wirksamkeit der Anzeige unerheblich sind. Wie gesagt, empfiehlt es sich für Arbeitgeber, die für die Massenentlassungsanzeige vorgesehenen Formulare der Arbeitsverwaltung zu verwenden (vgl. Rz. 33).
Rz. 130
Der Grundsatz der subjektiven Determination findet nach dem BAG keine Anwendung; vielmehr muss der Arbeitgeber objektiv richtige "Muss-Angaben" machen.
6.5.1 Stellungnahme des Betriebsrats (Abs. 3 Sätze 2 und 3)
Rz. 131
Die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats zur Anzeige (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG) – ersatzweise das Vorbringen des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG – ist nach bisheriger BAG-Rechtsprechung (zur beabsichtigten Rechtsprechungsänderung Rz. 159 ff.) Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige. Gibt der Betriebsrat seine Stellungnahme irrtümlich nicht gegenüber dem Arbeitgeber, sondern direkt gegenüber der Arbeitsagentur ab, steht das der Wirksamkeit der Anzeige nicht entgegen. Der Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG muss sich entnehmen lassen, dass er seine Beteiligungsrechte als gewahrt ansieht. Auf dieser Grundlage muss der Betriebsrat eine abschließende Meinung zu den konkret beabsichtigten Kündigungen äußern. Verweigert der Betriebsrat eine Stellungnahme oder entspricht die erfolgte Stellungnahme – womöglich – nicht den Anforderungen des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG, kann der Arbeitgeber (vorsorglich) nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG vorgehen und so rechtssicher und rechtswirksam eine Massenentlassungsanzeige erstatten.
Rz. 132
Der Interessenausgleich mit Namensliste – nicht hingegen ein Einigungsstellenspruch über den Sozialplan – ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG (§ 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG, § 125 Abs. 2 InsO) und ist daher anstelle der Stellungnahme der Anzeige beizufügen. Vereinbaren Arbeitgeber und Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste, sollte die Massenentlassungsanzeige also erst nach dessen Abschluss erstattet werden. Dies gilt auch, wenn der Interessenausgleich mit Namensliste nicht mit dem örtlichen Betriebsrat, sondern mit dem zuständigen Gesamtbetriebsrat bzw. Konzernbetriebsrat abgeschlossen wurde. Eine (zusätzliche) Stellungnahme des örtlichen Betriebsrats ist dann nicht mehr erforderlich. Außerdem ist es ausreichend, wenn der der Anzeige beigefügte Interessenausgleich mit Namensliste nur vom zuständigen Betriebsrat unterschrieben wurde; Schriftform nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist für Zwecke des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG i. V. m. § 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG bzw. § 125 Abs. 2 InsO nicht erforderlich.
Rz. 133
Enthält ein Interessenausgleich ohne Namensliste die in dem Dokument integrierte abschließende Stellungnahme des Betriebsrats, die erkennen lässt, dass sie sich auf die angezeigten Kündigungen bezieht, genügt der Arbeitgeber seiner Pflicht nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG, wenn er der Massenentlassungsanzeige den Interessenausgleich beifügt. Der Praxis ist daher zu raten, entweder dem Interessenausgleich eine separate Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen oder in den Interessenausgleich eine ausdrückliche Regelung wie im Fall des BAG aufzunehmen.
Beispiel
"Die Gesellschaft hat den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die geplanten Maßnahmen sowie schriftlich über die in § 17 Abs. 2 KSchG genannten Punkte unterrichtet und die geplanten Maßnahmen mit dem Betriebsrat beraten. Der Betriebsrat sieht abschließend keine Möglichkeiten, die beabsichtigten Entlassungen zu vermeiden. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ist mit Abschluss dieses Interessenausgleichs beendet. Dieser Interessenausgleich gilt zugleich als Stellungnahme des Betriebsrats i. S. d. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG (§ 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG); der Betriebsrat wird keine weitere Stellungnahme abgeben."
Rz. 134
Liegt eine Stellungnahme des Betriebsrats dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Erstattung der Anzeige nicht vor, so ist die Anzeige nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG – der keine unionsrechtliche Entsprechung in der MERL hat – wirksam, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat mindestens 2 Wochen vor Erstattung der Anzeige nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unterrichtet hat, und wenn er den Stand der Verhandlungen mit dem Betriebsrat darlegt.
Rz. 135
Da es sich bei der 2-Wochen-Frist um eine rückläufige Frist handelt, die ab dem Endzeitpunkt der Erstattung der Anzeige läuft, muss die Frist analog §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB rückwärts berechnet werden. Der Tag der Erstattung der Anzeige ist nicht zu berücksichtigen (§ 187 Abs. 1 BGB analog). D...