Rz. 22
Nach Satz 2 liegt eine unverantwortbare Gefährdung i. S. v. Satz 1 insbesondere dann vor, wenn die schwangere Frau Tätigkeiten ausübt oder Arbeitsbedingungen ausgesetzt ist, bei denen sie den in den Nrn. 1-3 benannten Gefahrstoffen ausgesetzt ist. Satz 2 nimmt damit eine Konkretisierung für die Prüfung nach Satz 1 vor: Ist eine schwangere Frau diesen beispielhaft genannten Gefahrstoffen ausgesetzt, wird dies nach Satz 2 grundsätzlich als eine unverantwortbare Gefährdung eingestuft.
Rz. 23
Der Katalog nach § 11 berücksichtigt insbesondere die Gefahrstoffe, die vom Anhang I oder II der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG erfasst sind. Dazu gehören neben den in Satz 2 ausdrücklich genannten Stoffen:
- Gefahrstoffe, die im Anhang I der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG unter Buchstabe A. (Agenzien), Nr. 3 (chemische Agenzien) aufgelistet sind (d. h. Quecksilberderivate, Mitosehemmstoffe, Kohlenmonoxid, oder gefährliche chemische Agenzien, die nachweislich in die Haut dringen),
- Gefahrstoffe, die in den von Anhang I der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG, Buchstabe B. (Verfahren) erfassten industriellen Verfahren (Verfahren i. S. d. Anhangs I der Richtlinie 2004/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit (Sechste Einzelrichtlinie i. S. v. Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 98/39/EWG des Rates)) freigesetzt werden.
Rz. 24
Erfasst sind demnach im Einzelnen chemische Einwirkungen:
- bei der Herstellung von Auramin;
- bei Arbeiten, bei denen die schwangere Frau polyzyklisch aromatischen Kohlenwasserstoffen ausgesetzt ist, die in Steinkohlenruß, Steinkohlenteer oder Steinkohlenpech vorhanden sind;
- bei Arbeiten, bei denen die schwangere Frau Staub, Rauch oder Nebel beim Rösten oder bei der elektrolytischen Raffination von Nickelmatte ausgesetzt ist;
- im Rahmen von Starke-Säure-Verfahren bei der Herstellung von Isopropylalkohol sowie bei Arbeiten, bei denen die schwangere Frau Hartholzsäuren ausgesetzt ist.
Rz. 25
Zunächst ist sachlich zu erfassen, dass die Schwangere mit diesen Stoffen in Berührung kommt oder in Berührung kommen kann. Ob diese Stoffe oder Verfahren für schwangere Frauen oder ihr ungeborenes Kind im Einzelfall eine unverantwortbare Gefährdung darstellen, hat der Arbeitgeber im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach § 10 MuSchG zu prüfen und nach § 14 MuSchG zu dokumentieren. Bei dieser Prüfung ist der Katalog von Vermutungsregelungen in Satz 2 zu beachten, der durch die beispielhafte Aufzählung Orientierung auch für die Bewertung dort nicht erfasster Gefahrstoffe bietet.
Eine unverantwortbare Gefährdung kann nach den Sätzen 3 und 4 ausgeschlossen werden, die für Gefahrstoffe die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 3 MuSchG konkretisieren. Die bis zum 31.12.2017 in § 5 Abs. 1 Nr. 1, 4 und 5 MuSchArbV enthaltene allgemeine Bezugnahme auf Grenzwertüberschreitungen wurde nicht beibehalten, weil bei der arbeitsschutzrechtlichen Grenzwertfestlegung die Schwangerschaft derzeit grundsätzlich nicht berücksichtigt wird. Stattdessen wird auf die Grenzwerte oder andere Vorgaben zur mutterschutzrechtlichen Bedenklichkeit verwiesen, die spezifisch im Hinblick auf das Risiko einer Fruchtschädigung bewertet werden.
Etwas anderes ergibt sich nur dann, wenn diese unverantwortbare Gefährdung nach Satz 3 oder nach § 9 Abs. 2 Satz 3 MuSchG ausgeschlossen werden kann. Die nicht abschließende Auflistung des Satzes 2 beschränkt sich auf Gefahrstoffe, die besondere Auswirkungen während der Schwangerschaft haben und damit in dieser Hinsicht arbeitsschutzrechtlich nicht erfasst werden, sodass die schwangere Frau insoweit des besonderen Schutzes durch mutterschutzrechtliche Regelungen bedarf.