Rz. 54
Analog zu Abs. 1 Satz 2 (Gefahrstoffe allgemein) regelt auch Abs. 2 Satz 2 für Biostoffe, wann eine unverantwortbare Gefährdung vorliegt. Der technische Aufbau des Gesetzes ist insofern gleich. Satz 2 regelt beispielhaft Fälle, in denen eine unverantwortbare Gefährdung i. S. v. Satz 1 vermutet wird. Eine unverantwortbare Gefährdung i. S. v. Satz 1 ist danach gegeben, wenn die schwangere Frau Tätigkeiten ausübt oder Arbeitsbedingungen ausgesetzt ist, bei denen sie mit gefährlichen Biostoffen in Kontakt kommt oder kommen kann. Auch hier hat der Gesetzgeber einen Katalog der biologischen Gefahrstoffe aufgestellt, bei denen Verwendung eine besondere Gefährdung und damit eine unverantwortbare Gefährdung ergibt.
3.1.1 Katalog der biologischen Gefahrstoffe nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2
Rz. 55
Eine unverantwortbare Gefährdung i. S. v. Abs. 2 Satz 1 liegt insbesondere vor, wenn die schwangere Frau Tätigkeiten ausübt oder Arbeitsbedingungen ausgesetzt ist, bei denen sie mit folgenden Biostoffen in Kontakt kommt oder kommen kann:
- mit Biostoffen, die in die Risikogruppe 4 i. S. v. § 3 Abs. 1 der Biostoffverordnung einzustufen sind oder
- mit dem Rötelnvirus oder mit Toxoplasma.
Zu Nr. 1: Eine unverantwortbare Gefährdung i. S. v. Satz 1 liegt vor, wenn die schwangere Frau Tätigkeiten ausübt oder Arbeitsbedingungen ausgesetzt ist, bei denen sie mit Biostoffen in Kontakt kommt oder kommen kann, die in die Risikogruppe 4 i. S. v. § 3 Abs. 1 der Biostoffverordnung einzustufen sind. Von Risikogruppe 4 sind Biostoffe erfasst,
- die eine schwere Krankheit beim Menschen hervorrufen und eine erste Gefahr für Beschäftigte darstellen;
- die Gefahr einer Verbreitung in der Bevölkerung unter Umständen groß ist und
- gegen die normalerweise eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung nicht möglich ist.
Zu Nr. 2: Ferner ist von einer unverantwortbaren Gefährdung auszugehen, wenn die schwangere Frau Tätigkeiten ausübt oder Arbeitsbedingungen ausgesetzt ist, bei denen sie mit dem Rötelnvirus oder mit Toxoplasma in Kontakt kommt oder kommen kann. Das Rötelnvirus und das Toxoplasma sind in die Risikogruppe 2 i. S. v. § 3 Abs. 1 der Biostoffverordnung eingestuft.
Rz. 56
Die Gefährdungslage nach den Sätzen 1 und 2 gilt auch dann, wenn der Kontakt mit Biostoffen i. S. v. Satz 1 therapeutische Maßnahmen erforderlich macht oder machen kann, die selbst eine unverantwortbare Gefährdung darstellen (§ 11 Abs. 2 Satz 3). Die damit geregelten Fälle werden nicht unmittelbar von den Sätzen 1 und 2 erfasst, weil sich die Gefährdung in diesen Fällen nicht unmittelbar aus dem Kontakt mit Biostoffen ergibt, sondern nur mittelbar aus dem Umstand, dass der Kontakt mit Biostoffen möglicherweise therapeutische Maßnahmen erforderlich macht und dann diese Therapie wiederum Biostoffe verwendet, die eine Gefährdung verursachen.
3.1.2 Gefährdungsausschluss durch Impfschutz (§ 11 Abs. 2 Satz 4)
Rz. 57
Die Verwendung biologischer Gefahrstoffe vermutet eine Gefährdungslage. Nach § 11 Abs. 2 Satz 4 gilt allerdings die nach Satz 2 vermutete unverantwortbare Gefährdung als ausgeschlossen, wenn die schwangere Frau über einen ausreichenden Immunschutz verfügt.
Erfolgte Impfungen müssen dem Arbeitgeber grundsätzlich nicht offengelegt werden. Arbeitgeber dürfen gem. § 26 Abs. 1 BDSG nur solche personenbezogenen Daten erheben, verarbeiten und nutzen, die für die Durchführung eines Beschäftigungsverhältnisses zwingend notwendig sind. Art. 9 Abs. 1 DSGVO untersagt die Verarbeitung sensibler Gesundheitsdaten grundsätzlich. Etwas anderes kann sich aus arbeitsvertraglichen Nebenpflichten ergeben, wenn der Impfschutz als Teil der Arbeitsschutzmaßnahmen nach erfolgter Gefährdungsbeurteilung notwendig ist.
Spezialgesetzlich ist im Masernschutzgesetz, das am 1.3.2020 in Kraft getreten ist, eine Impf- und Offenlegungspflicht für das in Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen beschäftigte Personal geregelt (§ 23 IfSG). Diese Information darf dann nach § 23a IfSG durch den Arbeitgeber verarbeitet werden. Der von der Impfpflicht erfasste Personenkreis ist weit gefasst, weil das Gesetz keine Einschränkung auf ärztliches und pflegerisches Personal bzw. Personal, das am Patienten arbeitet, enthält. Erfasst ist daher nicht nur das medizinische Personal, sondern auch andere dort tätige Personen, etwa Verwaltungspersonal oder Küchen- und Reinigungspersonal.
Dabei ist zu beachten, dass es dem Arbeitgeber grundsätzlich nur gestattet ist, bestehende Immunisierungen zu berücksichtigen. Eine Verpflichtung einer Frau, sich impfen zu lassen, ergibt sich aus dieser Vorschrift nicht.
Rz. 58
Ein Gefährdungsausschluss kann dann nach § 9 Abs. 2 Satz 3 MuSchG in Betracht kommen; danach gilt eine unverantwortbare Gefährdung als ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber alle Vorgaben einhält, die aller Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die Gesundheit einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes nicht beeinträchtigt wird.